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Alwin Schönberger

Grenzgänger

Österreichische Pioniere zwischen Triumph
und Tragik

Alwin Schönberger

Grenzgänger

Österreichische Pioniere zwischen Triumph
und Tragik

Mit einem Vorwort von Brigitte Ederer
und Beiträgen von Regina Adler, Franziska Dzugan,
Tina Goebel, Petra Paumkirchner, Lukas Plank,
Elisabeth Schneyder und Jochen Stadler

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Inhalt

Brigitte Ederer

Erfindergeist und Innovationsängste

Alwin Schönberger

Die Überzeugungstäter

Alwin Schönberger

Karl Kordesch – Der Stromleiter

Alwin Schönberger

Clemens von Pirquet – Der Kinderfreund

Jochen Stadler

Eduard Suess – Der Wassermann

Franziska Dzugan

Anna Fischer-Dückelmann – Die Naturheilerin

Elisabeth Schneyder

Oleh Hornykiewicz – Der Geistesmächtige

Alwin Schönberger

Johann Georg Stauffer – Der Stimmungsmacher

Alwin Schönberger

Wilhelm Kreß – Der Bruchpilot

Regina Adler

Joseph Hyrtl – Der Ablebenskünstler

Petra Paumkirchner

Friedrich Hasenöhrl – Der Masseverwalter

Alwin Schönberger

Ludwig Hatschek – Der Serientäter

Jochen Stadler

Hans Tuppy – Der Weichensteller

Petra Paumkirchner

Marietta Blau – Die Rastlose

Lukas Plank

Ferdinand von Hebra – Der Hautkontaktfreudige

Regina Adler

Otto Kornei – Der Abbildungsbürger

Tina Goebel

Richard von Krafft-Ebing – Der Aufklärer

Tina Goebel

Hermann Oberth – Der Senkrechtstarter

Alwin Schönberger

Wolfgang Schleidt – Der Tonmeister

Alwin Schönberger

Walter Thirring – Der Teilchenbeschleuniger

Quellen

Erfindergeist und Innovationsängste

Österreich kann auf eine lange Tradition an Forschern und innovativen Wissenschaftlern zurückblicken. Die Lehr- und Geschichtsbücher sind voll mit ihren Glanz- und Ruhmestaten. Weniger bekannt sind die vielen Um- und Abwege, die oft gegangen werden mussten, um zu ihren bahnbrechenden wissenschaftlichen und technischen Durchbrüchen zu kommen. Dieses Buch möchte die Aufmerksamkeit auf jene Menschen lenken, die auf der Suche nach Innovationen nicht in der Ruhmeshalle der Wissenschaft gelandet sind, aber dennoch entscheidende Wegmarken des Fortschritts gesetzt haben. Darüber hinaus geht es darum, in diesem Land wieder die Sensibilität zu wecken für ein gesellschaftliches Klima, das innovative Prozesse ermöglicht und fördert. Das setzt voraus, dass der Weg zu neuen Ufern nicht durch mentale, bürokratische oder politische Barrieren verbaut wird. Die Suche nach Neuem und Unerprobtem verlangt nach intellektueller Neugierde, wissenschaftlicher Leidenschaft und unternehmerischem Risikogeist. Denn auch die Finanzierung von Forschungsarbeiten, die nicht zu absehbaren marktreifen Ergebnissen führen, muss über entsprechendes Risikokapital gewährleistet werden, wenn die Innovationskraft der Gesellschaft ökonomisch gehoben werden soll.

Innovationen können heute dank des Internets leichter in kleineren Einheiten entwickelt werden. Früher war das nur im Verband großer Konzernstrukturen vorstell- und machbar. Mittels neuer Finanzierungsinstrumente wie Crowdfunding ist auch der finanzielle Anschub flexibler möglich als früher. Dennoch hat sich in Teilen der Gesellschaft in der jüngsten Vergangenheit ein Klima der Technik-, Industrie- und Innovationsfeindlichkeit breitgemacht, das couragierte technologische Erneuerungswege hinterfragt statt sie zu befeuern. Wer möchte schon im populistischen Medienspiegel als Frankenstein-Wiedergänger, Überwachungsstaatsfanatiker oder Hightech-Turbokapitalist in die Mangel genommen werden? Debatten zu Gentechnologie, Bio-Medizin, Fracking oder IT-Innovationen wirken nicht allzu ermutigend und stimulierend. Dabei sind Anstrengungen zur Erhöhung unserer Innovationskraft unumgänglich. Besondere Rohstoffvorkommen oder Diskontlöhne fallen im Standortwettbewerb als Assets aus, also müssen wir – wohl oder übel – um jenes Maß innovativer sein, das wir als Wirtschaftsstandort Wettbewerbern gegenüber teurer sind! Österreich hat mit seinen historischen und kulturellen Erfahrungen und Kenntnissen ein Wissensdepot, auf dem Innovations- und Erfindergeist prachtvoll gedeihen können sollten. Wir brauchen dafür allerdings auch die richtige gesellschaftliche und politische Orchestrierung.

Dabei spielt unser Bildungssystem natürlich eine besondere Rolle. Dessen Strukturen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die auf Imitation als Lernprinzip und Rekrutierung großer industrieller Produktionsarmeen mit beschränkten Qualifikationen ausgerichtet waren, sind merkbar anachronistisch und führen in Sackgassen. Heute geht es um Flexibilität und intellektuelle Tools, um rasante gesellschaftliche, ökonomische, politische und technologische Umbrüche analysieren und meistern und auf rasch wechselnde Trends – Stichwort Digitalisierung, Industrie 4.0 – reagieren zu können. Das setzt die Fähigkeiten voraus, Zusammenhänge herstellen und zwischen Bildungsfächern lustvoll switchen zu können. Wobei auch die Verengung auf ökonomische Nutzanwendungen zu kurz greift, da Bildung als humanistisches Grundideal nicht nur auf die optimierte wirtschaftliche Verwertbarkeit des Menschen abzielen sollte. Innovationskraft, Fantasie, Neugierde und Erfindergeist werden nicht bloß in monetären Währungen beglichen! Aber auch allzu überschäumende Hoffnungen in die Forschungsanstrengungen des Marktes sind nicht angebracht. Man soll und darf sich von der Industrie keinen übertriebenen Altruismus erwarten. Deren Innovationsstrategien müssen sich letztlich mit ihren Business-Development-Strategien verknüpfen lassen und strategische Geduld im Innovationsmanagement endet zumeist dann, wenn die angestrebte Marktreife nicht in der angepeilten Zeit zu erreichen ist. Grundlagenforschung wird nach wie vor die Basis sein, deren Finanzierung allerdings abgesichert und auf einem gesellschaftlichen Konsens aufbauen können muss.

Wie es überhaupt in unserem Bildungssystem auch mehr um Leidenschaft, Neugierde und Courage gehen sollte. Ausgehend von meiner eigenen Bildungskarriere – als Kind einer Alleinerzieherin, die sich als Putzfrau durchgeschlagen hat und so zwei Kinder großzog – frage ich mich, ob heute auch noch die gleiche soziale Durchlässigkeit gegeben ist wie in den 70er-Jahren mit den Kreisky’schen Bildungsreformen. Meine Mutter hat – sicher auch beflügelt vom politischen Zeitgeist dieser Jahre – den Mut aufgebracht, mir den Gang aufs Gymnasium und ein darauf folgendes Studium zuzutrauen. Übertragen auf die Gegenwart entspräche das heute zum Beispiel einer serbischen Putzfrau, die ihren Kindern den Weg bis zum Hochschulstudium zutraut und ermöglicht. Ich bin allerdings skeptisch, ob die gegenwärtige Gesellschaft diesen Aufstiegswillen und Bildungshunger stillen kann.

Warum verweise ich auf das Problem zunehmender sozialer Bildungsschranken? Weil durch diese Verengung Talente vergeudet werden, die unser Innovationskapital sein könnten. Gerade durch die Diversität einer Gesellschaft können sich – in einem quasi gesellschaftlichen Sauerteig – in kreativen Gärvorgängen und intellektuellen Spannungsprozessen tatsächliche Neuerungen Bahn brechen. Das gilt im Übrigen auch für die strengen Grenzen zwischen wissenschaftlichen und technischen Disziplinen. Hier wird nach wie vor zu sehr in klassischen Claims gedacht und gearbeitet und die oft gerühmte und propagierte Interdisziplinarität bleibt zumeist eine Schablone für akademische Weihestunden. In diesem Zusammenhang ist auch die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen, denn letztlich führt auch der Druck von Industrie und Wirtschaft auf die Forschung, immer mehr und schneller in Richtung Marktreife zu entwickeln, zu Ressortverengungen. Man würde sich wundern, wüsste man, welche Innovationshemmnisse auch in Unternehmen existieren, die nach außen ein offenes Image beschwören. Andererseits gibt es auch Unternehmen mit ganz besonders innovationsfreundlichem Arbeits-Ambiente. Bei Siemens Österreich etwa wurde, um die Initiative aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu mobilisieren, ein eigener Innovationsfonds ins Leben gerufen, an dem sich – über Zurückhaltung bei einer Lohnrunde – auch die Siemens-Österreich-Belegschaft beteiligte. In die Entscheidung, welche Innovationsprojekte aus diesem Fonds gefördert werden, war auch der Betriebsrat eingebunden. Damit konnte ein Klima geschaffen werden, das Innovationsfreude stimuliert und den Stolz auf die erreichten Innovationsleistungen bei allen Mitarbeitern verankert hat.

Aber es gibt klarerweise keine Patentrezepte für durchschlagende Erfolge, die man Revue passieren lassen könnte. Die Geschichte der Innovation, der vielzitierten Schumpeter’schen »schöpferischen Zerstörung«, ist auch eine Geschichte unzähliger und mitunter durchaus spektakulärer Niederlagen. Die Straße zu den imposanten Erfindungen der Menschheit ist gesäumt von Niederlagen, vom Scheitern an profanen Details, unterschätzten Nebenwirkungen oder dem schlichten Zufall. Das kann auch gar nicht anders sein. Doch in der europäischen Kultur ist das Scheitern nicht sehr hoch angesehen, vor allem im Wirtschaftsleben, aber nicht nur dort. Dabei weiß jeder, der kleinere oder größere Erfolge in seinem Leben verbuchen konnte, dass danach auch wieder Pleiten, Pech und Pannen, also Niederlagen, folgen können. Oftmals relativieren sich Erfolge und Niederlagen auch erst im Nachhinein und das demütigend empfundene Scheitern entpuppt sich aus historischer Sicht als durchaus bemerkenswerter Erfolg.

Auch hier kann ich aus persönlicher Erfahrung sprechen. Als Finanzstadträtin der Stadt Wien war es mein Reformprojekt, die Wiener Stadtwerke aus dem Magistrat herauszulösen und zu einer selbstständigen Kapitalgesellschaft zu formen, die dann auch – im liberalisierten europäischen Energiemarkt – handlungs- und wettbewerbsfähig sein sollte. Klarerweise bedeutete dies lange, zähe und detaillierte Verhandlungen auf politischer Ebene, aber vor allem mit den äußerst machtbewussten und in der Vergangenheit »verwöhnten« Personalvertretern. Für diese wurde ich aufgrund meines beharrlichen Reformeifers und entsprechenden Verhandlungsdrucks schon bald zu einem »beliebten« Feindbild. Den damals nahezu ausschließlich sozialdemokratischen Gewerkschaftern war mein Veränderungswille ein derartiger Gräuel, dass ich in Gewerkschaftsmedien als »liberale Persönlichkeit« attackiert wurde (was nicht als Kompliment gemeint war). Nach langen und kontroversen Verhandlungen ist es aber gelungen, die Ausgliederung der Wiener Stadtwerke erfolgreich abzuschließen. Zur Vertragsunterzeichnung hatten sich die Gewerkschafter jedoch ausbedungen, dass nicht ich, sondern der Bürgermeister unterzeichnen soll. Das hat mich damals ungemein gekränkt, was ja letztlich auch die Absicht dieser Herrenriege war. Heute kann ich mich über diesen lächerlichen Racheakt nur mehr amüsieren. Die Gewerkschafter hatten ihren Spaß daran, mir den Erfolg symbolisch zu verwehren; ich aber kann auf die Tatsache zurückblicken, dass die Wiener Stadtwerke ein eigenständiger Konzern sind, der in hartem Wettbewerb besteht und nach wie vor das verlässliche infrastrukturelle Rückgrat der Smart City Wien darstellt – mit klarer Mission und Strategie, mit verantwortlichem Management und entsprechender Organhaftung, einer Unternehmenskultur, die im Verbund der Magistratsstruktur nicht zu entwickeln gewesen wäre. So hat sich in diesem Falle subjektives Scheitern in objektiven Erfolg gewandelt – allerdings, das muss ich konzedieren, mit erheblichen emotionellen Schrammen.

Worum es in diesem Buch geht, das ist, der Courage und der Leidenschaft das Wort zu reden, die für große Innovationen und Erfindungen unerlässlich sind. Mag auch das eine oder andere Projekt schiefgehen und nicht den erwünschten Erfolg zeitigen – der Weg ist das Ziel und aus überwundenen Niederlagen wachsen zukünftige Siege und Erfolge!

Mag. Brigitte Ederer

Die Überzeugungstäter

Begeisterte Wissenschaftler, wagemutige Erfinder, tollkühne Pioniere: Diese Porträtsammlung präsentiert herausragende Persönlichkeiten aus Österreich, die teils die Welt verändert haben – und deren Leistungen ausführlicher Würdigung bedürfen.

Kennen Sie Karl Kordesch? Nein? Dabei halten Sie das Patent des österreichischen Chemikers vermutlich immer wieder in Händen: Kordesch hat die Alkali-Batterie entwickelt, die bis heute milliardenfach in aller Welt verkauft wird. Wie steht es mit Oleh Hornykiewicz? Der Wiener Gehirnforscher hat jene biochemischen Mechanismen entschlüsselt, die das Nervenleiden Parkinson auslösen. Die heute gängigen Therapien beruhen ganz wesentlich auf seinen Erkenntnissen. Klingelt es beim Namen Ludwig Hatschek? Das Hauptprodukt des Unternehmers aus Oberösterreich bedeckt immer noch Millionen von Quadratmetern an Dach- und Fassadenflächen: die Eternit-Platte. Oder Hermann Oberth? Er ist der eigentliche Vater der Raketentechnik. Wernher von Braun fing als Assistent bei ihm an.

Interessant, werden Sie jetzt vielleicht sagen: Da haben diese Herrschaften so großartige Leistungen vollbracht, und wir haben noch nie von ihnen gehört. Genau deshalb gibt es nun dieses Buch: Es will das Wirken von Menschen in Erinnerung rufen und gebührend würdigen, die seltsamerweise von einer breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Die meisten von ihnen jedenfalls.

Gemeinsam ist den hier beschriebenen Persönlichkeiten aber nicht nur, dass die Nennung ihres Namens vorwiegend in Fachkreisen kundiges Nicken bewirkt. Sie teilen zudem eine Reihe weiterer auffälliger Merkmale: Erstens sind alle von ihnen wahre Pioniere auf ihrem Gebiet und haben, nicht selten gegen erhebliche Widerstände, völliges Neuland beschritten, sei es in der Medizin, in der Physik oder bei der Erfindung revolutionärer Technologie. Wie zum Beispiel Otto Kornei, der den ersten Kopierer der Welt entwickelte – eine Apparatur, die lange Zeit als gänzlich nutzlos erachtet wurde.

Zweitens, und das ist wahrscheinlich die Voraussetzung für die Realisierung all der hier beschriebenen Errungenschaften: Die Menschen hatten eine Idee, glaubten unerschütterlich daran, ließen sich weder vom Spott noch den Anfeindungen der Zeitgenossen irritieren, weder durch finanzielle Widrigkeiten noch durch konservativen Gegenwind oder bürokratische Hürden daran hindern, unbeirrbar ihr Ziel zu verfolgen. Manche von ihnen fuhren letztlich Triumphe ein, andere schlitterten in den Bankrott. Ein besonders tragischer Fall ist Johann Georg Stauffer, der in Wien einst die besten Gitarren der Welt baute und sein Dasein doch im Armenhaus beschloss. Zumindest seine Leidenschaft konnte ihm niemand nehmen: Bis ans Lebensende fertigte er ausgezeichnete Gitarren.

Nicht unähnlich das Schicksal von Wilhelm Kreß, der mit seiner Überzeugung gegen die damals geltende Maxime verstieß, wonach nichts fliegen könne, was schwerer ist als Luft. »Solche Flugmaschinen sind unmöglich«, lautete das Postulat des berühmten Physikers Baron Kelvin. Kreß widersprach und schuf – noch vor den legendären Gebrüdern Wright – ein monströses Motorflugzeug. Obwohl er bei einem Test seines Geräts in eine lebensbedrohliche Situation geriet, gab er nicht auf, sondern hatte, kaum genesen, nur eines im Sinn: die technische Verfeinerung seiner Erfindung.

Menschen wie Kreß waren in gewisser Weise zugleich tollkühne Abenteurer, die Funktion und Nutzen ihrer Erfindungen unter einigem Körpereinsatz erprobten. In anderer Form traf dies auf Ferdinand von Hebra zu, den Begründer der Dermatologie, der die Auswirkungen von Krätzmilben an sich selbst überprüfte. Und es gilt wohl ebenso für jenen Herrn, den der Umschlag dieses Buches zeigt: Josef Krupka, einen Wiener Ingenieur, der Ende der 1920er-Jahre Skier anlegte, sich Tragflächen mit etwa vier Meter Spannweite um den Körper schnallte und Skiflugexperimente am Großvenediger absolvierte. Er hob tatsächlich ab.

Doch ist jemand wie Kreß, der schließlich von Orville und Wilbur Wright – durchaus im Wortsinn – überflügelt wurde, tatsächlich ein Gescheiterter? Wann eigentlich ist es angebracht, von einem Triumph zu sprechen, und wann von einer Pleite? Die Grenze zwischen Erfolg und Straucheln ist keineswegs klar definiert. Oft bedarf es sogar eines gewissen Muts zum Misserfolg, um einer Sache zum Durchbruch zu verhelfen, und es braucht Menschen mit der Bereitschaft, einen Plan ungeachtet kurzfristiger persönlicher Benefits zu verfolgen. Alle hier porträtierten Personen passen in dieses Profil: Ob sie berühmt wurden oder nicht, ob sie reich wurden oder nicht, ob sie mit ehrenvollen Posten bedacht wurden oder sich mit miserablen Jobs begnügen mussten – der Antrieb blieb stets die Lust am Erkenntnisgewinn, der Ehrgeiz, eine unkonventionelle Idee in die Realität zu überführen.

So handelt dieses Buch von passionierten Erfindern und Wissenschaftlern, die ihr Leben einer bedeutsamen Innovation oder der Bestellung eines vormals brachliegenden Forschungsfeldes widmeten. Manchmal aus blanker Neugier und einem tiefen Bedürfnis, die Welt und die darin herrschenden Gesetze zu verstehen, manchmal aus altruistischen Motiven, wie sie auf den Wiener Kinderarzt Clemens von Pirquet zutreffen: Er betrachtete es als sein größtes Verdienst, einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung von Infektionskrankheiten geleistet zu haben.

Speziell hervorzuheben sind drei Menschen in dieser Porträtsammlung: Sie alle gehören der Pionierära ihrer Disziplinen an, und sie alle standen noch für ausführliche Gespräche über ihr Leben und ihre Forschung zur Verfügung. An diesen drei Personen, zum Zeitpunkt der Interviews 87, 88 sowie 90 Jahre alt, zeigt sich dank unmittelbarer persönlicher Eindrücke besonders anschaulich, welche Charakterzüge herausragende Wissenschaftler auf sich vereinen: eine bemerkenswerte, täglich aufs Neue befeuerte Neugier bis ins hohe Alter, eine beneidenswerte Energie und ein ungebrochener Schaffensdrang. Alle drei, Oleh Hornykiewicz, Wolfgang Schleidt und Hans Tuppy, arbeiten nach wie vor jeden Tag, betreiben ihre Forschungen mit erstaunlichem Elan und haben sich auch für die Zukunft noch einiges vorgenommen. Nicht etwa, weil sie müssten, sondern weil sie es wollen und weil sie aus der Materie, die sie seit Jahrzehnten begeistert, unverändert Freude und Befriedigung schöpfen.

Ob Wochentag oder Sonntag, ob frühmorgens oder spät in der Nacht – es juckt sie ständig, über kniffligen Fragen ihrer Profession zu brüten. Wolfgang Schleidt, Weggefährte von Konrad Lorenz und ein Mann der ersten Stunde der österreichischen Verhaltensforschung, schickt gern gegen Mitternacht E-Mails mit umfassenden Erläuterungen zentraler Punkte seiner Arbeit, ergänzt um Illustrationen, Fotos und einschlägige Studien.

Solche Menschen sind nicht nur faszinierend, sondern auch inspirierend. Und man kann sich von ihnen einiges abschauen: keine Scheu vor großen Ideen und all dem Aufwand, den deren Umsetzung meist erfordert. Dranbleiben, nicht aufgeben, Rückschläge wegstecken, einen zweiten Anlauf nehmen. Nie die Lust an neuen Horizonten verlieren, nie aufhören zu lernen. Schleidt zum Beispiel ist ernsthaft schwerhörig. Beklagt er sich darüber? Nein, er hat sich lieber das Lippenlesen beigebracht.

Noch eine Anmerkung zu den drei Genannten: Ihre Geschichten, die dieser Band beinhaltet, haben durchaus wissenschaftshistorischen Wert. Über Schleidt und Hornykiewicz existierten bislang keinerlei Publikationen. Der Name Tuppy mag aus seiner kurzen Episode als Wissenschaftsminister noch erinnerlich sein, doch seine Bedeutung für die Mikrobiologie und die Forschungslandschaft in Österreich war nicht dokumentiert. Es war somit höchste Zeit, die Lebensgeschichten dieser Kapazitäten aufzuschreiben.

Zwei weitere Protagonisten dieses Buches sind zwar mittlerweile verstorben, allerdings fanden noch vor wenigen Jahren Gespräche mit ihnen statt, die nun in die vorliegenden Porträts einflossen. Dabei handelt es sich um Walter Thirring, einen der bedeutendsten Physiker des Landes, und um den Energieforschungspionier Karl Kordesch.

Sie finden in diesem Buch eine wohlüberlegte Auswahl herausragender Personen, darunter Theoretiker und Praktiker, Autodidakten und Professoren, Männer und (historisch bedingt leider wenige) Frauen, Genies des 19. Jahrhunderts und solche, die heute noch aktiv sind. So sollte für jede Interessenlage, für jede Präferenz, für fast jeden Geschmack spannende Lektüre dabei sein – Geschichten von Menschen jedenfalls, die stets die Grenzen ausloteten, sich an diese herantasteten und mitunter darüber hinausgingen.

Alwin Schönberger, Jänner 2015

Karl Kordesch
1922–2011

Der Stromleiter

Ohne ihn läuft fast gar nichts: Ein Wiener Chemiker schuf die Grundlagen für die Verwendung moderner Elektronik.

Meist machen wir uns nicht übermäßig viele Gedanken über den Ursprung der Gegenstände, mit denen wir im Alltag hantieren. Wer überlegt schon, ob – um beliebige Beispiele zu nennen – Mikrowelle, Heizkörper oder Telefon einer abenteuerlichen, womöglich dramatischen Entstehungsgeschichte entstammen? Und wer fragt sich, ob scheinbar banale Gebrauchsobjekte von großen Geistern ersonnen wurden, die vielleicht ihre ganze Karriere einer Idee widmeten, die heute unser Leben verbessert oder sogar den Planeten ein Stück besser macht? Genau dies ist aber nicht selten der Fall: Viele Erfindungen basieren auf dem Engagement und Einfallsreichtum kluger Köpfe, die sich manchmal über Jahrzehnte mit der Lösung eines hartnäckigen Problems befassten. Das Ergebnis ist häufig ein Produkt, das uns heute völlig selbstverständlich erscheint. Viele Genies aber, denen wir solche Innovationen verdanken, kennt abseits der Fachkreise kaum jemand.

Zum Beispiel Karl Kordesch. Seine Entwicklungen sind nahezu allgegenwärtig und begegnen uns ständig, ohne dass wir ihnen besondere Beachtung schenken: Fernbedienung, Taschenlampe, Reisewecker, tragbares Radio – nichts von all dem würde in der heute gewohnten Weise funktionieren, hätte er seine Forschungen nicht beharrlich vorangetrieben.

Karl Kordesch hat die Alkali-Batterie erfunden, die lange Zeit mit Abstand wichtigste mobile Stromquelle. Ob Knopfzelle oder Blockbatterie: Fast überall, wo zum Beispiel Duracell, Varta oder Energizer draufsteht, ist Kordeschs Expertise drin. Wenn wir an der Supermarktkasse beiläufig eine Packung Batterien aufs Förderband schieben, kaufen wir in kommerzielle Produkte gepressten österreichischen Erfindergeist. Kordeschs Patent aus dem Jahr 1959 hat eine komfortable Verwendung moderner elektronischer Konsumgüter überhaupt erst ermöglicht.

Karl Kordesch war ein Mann, der sich aber auch über die Folgen seiner Erfindungen den Kopf zerbrach. Jahr für Jahr wandern Milliarden von Batterien über den Ladentisch – und landen, wenn sie ihren Dienst getan haben, in der Mülltonne. Kordesch hielt dies für ökologisch bedenklich, suchte nach einer Technologie, die es gestattete, Batterien mehrmals zu verwenden, und entwarf eine Batterie, die man wieder aufladen konnte.

Oder das Problem mit den Autos. Längst ist unstrittig, dass das Verbrennen fossiler Rohstoffe nach Kräften eingeschränkt werden muss. Dennoch befinden sich brauchbare Alternativen für den Individualverkehr nach wie vor in einer Art Experimentierphase, auch wenn das Angebot an Elektro- und Hybridfahrzeugen ständig wächst. Und immer noch wird debattiert, welcher Treibstoff und welcher Antrieb auf lange Sicht am besten geeignet ist. Vielleicht Wasserstoff in Kombination mit einem Elektromotor? Kordesch dachte über solche Fahrzeuge bereits in den 1960er-Jahren nach, in einer Ära, in der kaum jemanden Gewissensbisse plagten, wenn die Umwelt dem technischen Fortschritt geopfert wurde. Er beließ es allerdings nicht bei trockener Theorie, er baute die Fahrzeuge einfach, zu Hause in der Garage – nicht als Modell, sondern als Fortbewegungsmittel für den täglichen Gebrauch.

Als erster Mensch der Welt steuerte er ein Motorrad durch die Stadt, das von einer Brennstoffzelle gespeist wurde. Er war außerdem der Erste, der einen Wagen in ein Hybridauto umfunktionierte: Eine Brennstoffzelle steckte im Kofferraum, ein Elektromotor vorn unter der Motorhaube, aufs Dach packte er Wasserstofftanks. Drei Jahre lang fuhr Kordesch diesen Wagen. Da begannen die Konzerne bestenfalls gerade zu diskutieren, ob es wohl eines Tages sinnvoll sein könnte, Wasserstoff in einen Tank zu füllen.

Als er im Jänner 2011 im Alter von 89 Jahren verstarb, hatte Karl Kordesch, meist im Team mit Kollegen, an die 150 Patente formuliert. Die genaue Zahl, sagte er einmal, wisse er selbst nicht. Mit Gewissheit darf jedoch behauptet werden, dass Kordesch nicht nur zu den produktivsten Erfindern zählt, die dieses Land je hervorgebracht hat, sondern auch zu jenen Talenten, die den Blick stets weit in die Zukunft gerichtet hatten und sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst waren.

Er selbst hätte das niemals so ausgedrückt. Wenn er von seiner Arbeit berichtete, nannte er gerne technische Details, unterstrich die Funktionsweise, wog Vorzüge und Nachteile gegenüber anderen Erfindungen ab – stets auf die Sache fokussiert, ganz der gewissenhafte Forscher. Manchmal streute er eine kleine Anekdote ein, gewürzt mit feinem Humor und einem Hauch Ironie. Superlative sparte er sich für andere auf. Zum Beispiel für bewundernde Schilderungen der akademischen Karrieren seiner Frau Erna, einer Biologin, und seiner vier Kinder, allesamt Wissenschaftler, Ärzte, Techniker oder Physiker.

Das Lob seiner eigenen Leistungen blieb Weggefährten, Kollegen und Schülern vorbehalten. Deren Einschätzungen fielen stets ähnlich aus: Ein wahrer Pionier sei der Mann, eine internationale Ikone der Energieforschung, Vorbild und Ansporn für Generationen von Studenten, Referenz, Autorität und Inspiration für Expertengruppen in aller Welt.

Warum ist sein Name dann in Österreich nahezu unbekannt?

Vermutlich deshalb, weil er entscheidende Etappen seines Forscherlebens in Amerika zubrachte. Karl Kordeschs Laufbahn war wesentlich von den Umständen der Nachkriegszeit geprägt: Im März 1922 als Sohn eines aus Siebenbürgen stammenden Mannes und einer Niederösterreicherin in Wien geboren, studierte Kordesch zunächst Chemie und Physik an der Universität Wien. Dann musste er einrücken. An der Ostfront zog er sich schwere Verletzungen zu. Er durfte zurück nach Österreich und seine Studien fortsetzen. Am Chemischen Institut der Universität Wien schrieb er eine Dissertation über Aminosäuren und beschäftigte sich mit Luft-Sauerstoff-Batterien.

Mitglieder der US-Besatzungskräfte verfolgten damals einen umsichtigen Plan: Sie hielten Ausschau nach besonders begabten österreichischen Forschern, nach Menschen mit solidem Fachwissen und kühnen, unkonventionellen Ideen. Deren Geisteskraft und Enthusiasmus, so der einleuchtende Gedanke, müsse man gezielt abschöpfen, in Amerika für bedeutsame Entwicklungen nutzen und in markttaugliche Produkte überführen. So suchten die Amerikaner Labors und Institute nach herausragenden Talenten ab. Sie sprachen zahlreiche Kandidaten an, darunter Karl Kordesch, der gerade mit Batterien experimentierte.

Sie wollten ihn verpflichten, doch wie konnte man ihn unbürokratisch außer Landes bringen? Eine Emigration aus Österreich direkt in die USA war nicht leicht zu bewerkstelligen, weshalb sich die Army eine Strategie einfallen ließ, die ein bisschen an einen Agentenfilm erinnert und den Codenamen »Operation Paperclip« trug: Man arrangierte 1953 eine Urlaubsreise nach Deutschland, und von dort aus schaffte man Kordesch auf einem Schiff der US Navy nach Amerika, gemeinsam mit seiner Frau, den beiden Kindern und etwa sechzig weiteren Forschern aus Österreich. Die Möbel würden nachgeliefert, versprachen die Amerikaner.

Die erste Station war das U.S. Signal Corps in Fort Monmouth, New Jersey. Es handelte sich um eine technische Einheit des Militärs, die Forschungslabors betrieb. Kordesch unterzeichnete einen Einjahresvertrag und konzentrierte sich auf sein Spezialgebiet: die Arbeit an optimierten Batterien. Der Vertrag wurde um ein Jahr verlängert, lief dann aus, und Kordesch brauchte einen neuen Job. Er fand ihn 1955 in Parma, Ohio, bei der Union Carbide Corporation. Das Unternehmen war ein bedeutender Chemiekonzern, der in der Öffentlichkeit allerdings vor allem durch einen grauenvollen Unfall im indischen Bhopal Bekanntheit erlangte. Im Jahr 1984 entwichen ungefähr vierzig Tonnen hochgiftiger Substanzen. Das Giftgas trieb durch die Elendsviertel der Region und tötete Tausende Menschen.

Für Kordesch, der sich in Amerika drei Jahrzehnte zuvor seinen Forschungen widmen durfte, wurde Union Carbide zur beruflichen Heimat. Union Carbide kooperierte mit der NASA, der Armee, mit der Automobilbranche. Tüftler wie er erhielten zusätzlich zum Gehalt einen Dollar für jedes Patent. Später wurde das Honorar auf zwei Dollar erhöht. Mit Erfindungen konnte man nicht reich werden, doch das wurde durch andere Vorzüge hinlänglich aufgewogen: Nie wieder habe er ein so anregendes Forschungsklima voll knisternder Kreativität erlebt, sagte Kordesch, und nirgendwo sonst hätten die Leute derart begeistert und harmonisch zusammengearbeitet. Alle waren angestellt, die Jobs galten als sicher, man konkurrierte nicht, sondern kooperierte: half einander, lernte voneinander und entwickelte Ideen gemeinsam weiter. Kosten- und Zeitdruck seien, in krassem Unterschied zu heute, kein Thema gewesen. Fünf, sieben Jahre Muße für ein Projekt? Kein Problem. Mit lähmender Bürokratie hatten die Forscher ebenfalls nichts zu schaffen. Es gab genügend Ressourcen, ausreichend Personal und den festen Willen, Großes zuwege zu bringen.

Es war das ideale Umfeld für die Entwicklung wirklicher Innovationen.

Der damals gängige Batterietyp war die Zink-Kohle-Batterie, die auf einem Prinzip des Franzosen Georges Leclanché aus den 1860er-Jahren beruhte. Die wesentlichen Materialien bildeten ein Zinkbecher für die negative Elektrode sowie Braunstein – ein Mangan-Mineral – samt einem Kohlestift für das positive Gegenüber. Damit erfüllte die Errungenschaft die zentrale Aufgabe jeder Batterie: Elektronen fließen von der negativen Elektrode, der Anode, zur positiven, der Kathode, wodurch elektrische Leistung entsteht. In der Batterie gespeicherte chemische Energie wird dabei in elektrische Energie umgewandelt. Zwischen den Elektroden, den aktiven Massen, steckt zudem ein Separator, ein Trennelement, das Kurzschlüsse verhindert.

Kordesch plante anfangs Verbesserungen dieser lange erprobten Energiequelle. Doch bald änderte er sein Vorhaben und konzentrierte sich mit einer seiner Arbeitsgruppen auf ein Konzept, das es in Grundzügen bereits seit 1912 gab, jedoch nie über das Stadium der Theorie hinausgekommen war: die alkalische Batterie, etwas präziser Alkali-Mangan-Batterie genannt.

Zink und Mangandioxid kamen auch hier zum Einsatz, auch wenn sich die Anordnung der Bauteile vom Vorgänger unterschied. Für die Konstruktion des Elektrolyten – jener Substanz im Inneren der Batterie, die den Ladungstransport zwischen den Elektroden gewährleistet – verwendete Kordesch Kalilauge. Die elektrochemischen Einzelheiten, die der Forscher und seine Kollegen ausbrüteten, mögen den Anwender in der Praxis nicht weiter tangieren. Von Bedeutung sind hingegen die Vorteile für den Konsumenten, die das Patent mit der Nummer 3,042.732 unter der Bezeichnung »Anodes for Alkaline Cells« mit sich brachte: hohe Energieausbeute und lange Leistung. Laienhaft ausgedrückt: Alkali-Batterien geht so schnell nicht der Saft aus. Um eine Uhr zuverlässig ticken zu lassen, ist solch ein Kraftpaket nicht unbedingt erforderlich, doch andere Geräte verbrauchen deutlich mehr Energie: Bis zum Siegeszug der Smartphones und iPods ließen sich die Menschen vorwiegend von CD- oder MP3-Playern mit Musik berieseln, und ohne Alkali-Batterie wäre der Hörgenuss rasch zu Ende gewesen.

Kordeschs Batterie hatte noch einen weiteren Vorzug gegenüber den früheren Modellen, der auch für weniger stromintensive Produkte wie Uhren, Lampen und Fernbedienungen relevant ist: Sie läuft praktisch nie aus. Ältere Semester erinnern sich vielleicht noch an Batterien, an denen plötzlich eine ekelhafte bröselige Masse klebte. Die Ursache war, dass sich beim Entladen Zink zersetzte und austrat. Kordesch integrierte ein solides Metallgehäuse in sein Patent, was diesen Prozess unterband.

Die Auswirkungen all der Systemverbesserungen hatten massiven Einfluss auf den Markt. Viele Batteriehersteller erkannten die Bedeutung dieser Innovation augenblicklich. Sie erwarben Lizenzen, stellten ab Beginn der Sechzigerjahre ihr Sortiment um und verdienten gutes Geld. Andere hielten das für neumodischen Unfug, was sie später bitter bereuten. Denn mit der Zeit blieb auch diesen Verweigerern keine andere Wahl, als auf die Alkali-Variante umzuschwenken – aufgrund des wachsenden Verkaufserfolgs hatten sich die Lizenzpreise inzwischen allerdings empfindlich erhöht. Einige Unternehmen gingen daran pleite.

Für die Weiterentwicklung der Technologie, immerhin durch deren Erfinder selbst, brachte die Industrie damals indes noch keine besondere Begeisterung auf. Eine Batterie, die man wieder aufladen konnte? Schlechte Idee, befanden die Konzerne, darunter auch Union Carbide. Die übliche Reaktion lautete: Um Himmels willen, das gräbt uns ja das Geschäft ab. Die Konsumenten, so die vorherrschende Meinung, sollten gefälligst Wegwerfbatterien kaufen, in der Fachsprache Primärbatterien genannt. Doch Kordesch war vom Sinn einer Sekundärbatterie überzeugt – einer Stromquelle, die man eben nicht achtlos entsorgt, wenn der Elektronenfluss versiegt, sondern die man neuerlich befüllt. Ein Ladegerät schubst dabei die Elektronen wieder zurück zum Minuspol, und der Kreislauf beginnt von vorne.

Deutlich später erst, im Jahr 1986, gründete Kordesch seine eigene Firma, um wiederaufladbare Batterien, heute besser unter der Bezeichnung Akkumulator oder kurz Akku bekannt, zu vertreiben: Battery Technology Incorporated mit Sitz in Kanada. Als Unternehmer erlitt Kordesch allerdings Schiffbruch: Die Erhaltung der Patente kostete mehr, als die Verkäufe einspielten. Nach der Pleite gelang es jedoch, das Konzept in eine neue Gesellschaft zu transferieren, die bald Zweigstellen in aller Welt eröffnete, darunter in Korea und Malaysia.

Bei Union Carbide stürzte sich Kordesch ab Mitte der Sechzigerjahre auf eine andere vielversprechende Form der Stromversorgung: auf die Brennstoffzelle als Ergänzung oder langfristig womöglich als Alternative zu klassischen Benzin- und Dieselmotoren. Für das Militär war die Technologie von großem Interesse, ebenso für die Raumfahrt, weil sie sich dazu eignete, Radaranlagen oder Bordsysteme von Raumkapseln mit Strom zu versorgen. Auch Autohersteller fanden Gefallen an Brennstoffzellen und elektrischen Antrieben. General Motors investierte ordentlich Geld und ermöglichte damit, dass Kordeschs Forschergruppe ein Modell namens »GM Electrovan« konstruierte. Das Projekt kostete um die acht Millionen Dollar.

Als Schnäppchenpreis, den man beim Autohändler leichtfertig hinblättert, geht so eine Summe kaum durch, weshalb eine Serienproduktion natürlich nicht infrage kam. Darüber waren alle Beteiligten letztlich sogar froh: die Manager von General Motors, weil sie weiterhin ihre Benzinautos verkaufen konnten; und Karl Kordesch, weil er sich ungestört in seine Forschungen vertiefen durfte.

Zum Beispiel in die Umrüstung eines Motorrades. Er benutzte dazu ein Puch-Motorrad und stattete es mit einer Brennstoffzelle aus. Als Treibstoff wählte er Hydrazin, eine Mischung aus Stickstoff und Wasserstoff, die ähnlich wie Ammoniak riecht. 1967 war der Umbau abgeschlossen, und Kordesch fuhr mit dem Motorrad häufig ins Labor oder zu Abendveranstaltungen, nahezu geräuschlos und bis zu vierzig Stundenkilometer schnell. Es gab sogar eine Versicherung – allerdings nicht für das Gefährt, sondern für den Lenker: »Für den Fall, dass ich damit jemandem über die Zehen fahre«, wie Kordesch erklärte.

Wenig später folgte ein ähnliches Experiment, diesmal auf vier Rädern. Kordesch kaufte einen Austin A-40, Baujahr 1965. Er bekam den Wagen günstig von einem Nachbarn, der den Motor wegen Ölmangels ruiniert hatte. Die nächsten beiden Jahre schlug sich der Erfinder die Abende in seiner Garage um die Ohren. Seine Frau, gestand er, habe ihn in dieser Phase kaum zu Gesicht bekommen. 1970 war es vollbracht: Kordesch hatte das erste Hybridauto der Welt gebaut.

Stahlflaschen mit Wasserstoff bedeckten das Dach, im Kofferraum lagen die Brennstoffzellen, zusätzlich verfügte das Auto über Bleibatterien. Das klingt ziemlich überfrachtet, doch der Wagen bot trotzdem noch Platz für vier Personen und den Familienhund Coco. Nur auf die Mitnahme sperrigen Gepäcks musste man verzichten.

Der Treibstoff reichte für immerhin 300 Kilometer. Theoretisch hätte er sogar locker quer über den amerikanischen Kontinent fahren können, so Kordesch. Allerdings hätte dann ständig ein mit Wasserstoffflaschen beladener Lastwagen hinterhertuckern müssen.

Einer gesonderten Zulassung bedurfte es nicht, denn mit Auflagen nahm man es damals noch nicht so genau. Kordesch musste lediglich ein Schild anbringen, das Mitfahrer aufklärte: »Smoking in the car is not allowed.« Eine Genehmigung hätte er bloß dann einholen müssen, wenn er zum Beispiel die Absicht gehabt hätte, das Auto neu zu lackieren.

Im Jahr 1977 musste Union Carbide plötzlich doch sparen: Die NASA hatte das Volumen externer Aufträge zusammengestrichen, wodurch sich der Chemiekonzern gezwungen sah, den Personalstand zu reduzieren. Man bot Karl Kordesch ein elegantes »Early Retirement« an. Nach 22 Jahren Firmenzugehörigkeit hielt der mittlerweile 55-Jährige neuerlich Ausschau nach einem Job. Er beschloss, in seine alte Heimat zurückzukehren, sichtete mehrere attraktive Angebote und entschied sich für eine Professur an der Technischen Universität Graz. Ein Vorteil dieser Position bestand darin, dass er als Professor sogleich die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt. Ein weiterer Vorteil war, dass er die Dinge nun etwas gemächlicher angehen durfte: Als Ordentlicher Professor habe er fortan ein recht gutes Leben gehabt, sagte er.