Eine Orientierung in Istrien
Mare e monti Vom Meer und den Bergen
Auf dem Markt Frisches Einkaufen
Mala riba Von den kleinen Meerestieren
Fischfang Groß in Istriens Küche
Pasta und Risotto Über Teigwaren
Deftiges und Kräftiges Lamm und Rind
Ursprüngliche Küche Natürlich einfach
Oliven und Trüffel Istriens Schätze
Ab Hof Vom Agrotourismus
Nešto slatko Etwas Süßes
Rezeptregister, Verzeichnis der Empfehlungen und Tippps
Es ist immer dasselbe. Mein Mann sitzt auf der Terrasse unseres Häuschens am Kvarner vor seinem Computer im Schatten und schreibt. Reiseführer über Istrien und historische Abhandlungen. Kaum ist er dazu zu bringen, etwas zu essen. Außer ich stelle ihm ein paar frisch marinierte inčuni hin oder Schafkäse mit Tomaten und Basilikum oder honigsüße Feigen. Da wird er schwach. Unser Kater Massimo, der ihm zuschaut und korrekturliest, hat sich dasselbe Verhalten zugelegt – nur sind seine Menüpräferenzen andere.
Wir zwei könnten tagelang auf unserem nach Lorbeer, Lavendel, Rosmarin und Thymian duftenden Grundstück arbeiten, ohne eine Menschenseele zu treffen – zu viel ist im Olivengarten, rund um die Weinstöcke, Zitrusbäumchen, am Kräuterbeet, bei den Feigen zu tun und im Wald zu finden. Außer wir laden Freunde ein. Dann biegt sich der Tisch, pršut, sarde in savor und gegrillte Auberginen, eine Pasta mit Tomatensugo oder ein Risotto mit škampi, der beste Fisch vom heutigen Fang mit Nachbarin Marias Kartoffeln und danach vielleicht noch Kirschstrudel lassen die Schar und die Verweildauer der Mitglieder unserer österreichischen Kolonie am Meer ins schier Unendliche wachsen.
Vor 20 Jahren, als wir unseren „Stall“ kauften und zum Haus umbauten, hätte ich noch nicht gewagt, viele Leute zum Fischessen einzuladen. Ich kaufte nur mit größter Vorsicht die mir bekannten Oraden und Branzine und zitterte jedes Mal, ob sie mir beim Braten im Ofen nicht zu trocken würden.
Heute kann ich auf dem Fischmarkt einschätzen, wann welche Fische ihre beste Zeit haben und was man am besten mit ihnen macht. Manchmal fragen mich die Verkäuferinnen sogar schon, wie ich diesen schönen Fang zubereiten werde und welche speziellen Tricks ich dabei anwende.
Wir kochen auch gerne gemeinsam – als Paar oder mit Freundinnen und Freunden. Die wirkliche Arbeit aber bleibt oft mir, ebenso das Vergnügen des Einkaufens und Gustierens, der raffinierten Verfeinerungen, der Zubereitung auf die Art, wie es wirklich sein soll, die Ehre des Lobes für die Köchin und die bleierne Müdigkeit, wenn alle weg sind, nur das Geschirr nicht. Daher habe ich mich entschlossen, über das zu schreiben, was ich da in der istrianischen kučica mache. Über das Land und seine Produkte, über die Rezepte, über viele Begegnungen mit Menschen, die gut kochen, über meine Fehler, Erfahrungen und Entdeckungen beim Genuss Istriens.
Diesmal habe ICH mich zum Computer gesetzt und zu Papier gebracht, was ich intuitiv mache – präzise Gewichtsangaben inklusive, so schwer mir das mitunter fällt, weil die lockere Hand von ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger immer noch den Reiz des Augenblicks am Herd ausmacht. Mein Mann hat Geschichten über Istrien, über die Historie der Halbinsel, ihr Lebensgefühl, ihre Menschen und deren Beziehung zum Genuss und zum Essen beigetragen. Das macht er gern und kreativer als kochen.
Ich will vor allem jenen Mut machen, die sich so wie ich damals nicht trauen, neue Genüsse zu probieren. Auch ein Dank und Gruß an die Freunde ist dabei, die mich in meinem Projekt bestärkt haben.
Anica
Mit Istrien assoziiert man normalerweise die dreieckige Halbinsel zwischen Rijeka und Triest in der nördlichen Adria. Bei genauerem Hinsehen ist die Sache allerdings etwas spannender und komplizierter.
Da haben wir zunächst einmal die Kvarner-Bucht an der Ostseite, rund um Opatija, dem mondänen Zentrum der Riviera des alten Österreich-Ungarn. Politisch ist das im heutigen Kroatien nicht Teil des Verwaltungsbezirks Istrien, sondern bildet mit Rijeka und den Inseln Cres und Krk die Županja Primorje-Gorski kotar. Der Distrikt mit dem Namen Istrien ist der große „Rest“ des kroatischen Teils der Halbinsel mit seiner Hauptstadt Pula und den vielen alten Städtchen im Landesinneren. Der nördlichste Streifen Istriens ab Piran gehört zu Slowenien und schließlich muss man wohl auch die Bucht von Triest als Teil dieser wahrlich mitteleuropäischen Region ansehen.
Aber die politischen Grenzen fallen ohnedies so weg, wie sie entstanden sind, und zum Glück hindern sie uns heute nicht mehr daran, das Ganze zu sehen – vor allem die historischen Verbindungen, die kulturelle Identität, die Gemeinsamkeiten des Landes, seiner Produkte, und ganz besonders die Identität von Küche, Essen und Trinken. Daher sind in diesem Buch immer der Kvarner und Istrien, Kroatien und Slowenien, Slawisches und Italienisches gemeint, wenn von „Istrien“ die Rede ist. Diese großzügige Vielfarbigkeit macht viel von der Faszination und vom Reichtum dieses Landes aus, in dem man vor allem immer – auch in langen Epochen der materiellen Not – angenehm zu leben wusste.
Um unseren Freunden und Freundinnen die Orientierung in diesem „integrierten“ Istrien zu erleichtern, haben wir ihnen eine kleine Karte zusammengestellt, die die wichtigsten Informationen für Genuss und Freude enthält: die guten Weingebiete, die Olivenbauern, den Verlauf der Wein- und Olivenstraßen, in welchen Orten man die großen Fisch- und Gemüsemärkte findet, wo guten Schinken, Käse und Trüffel. Diese unsere Karte ändert sich ständig und wird fast nach jedem Tagesausflug ins Land weiterentwickelt. Meist kommt eine Information dazu, mitunter wird ein Tipp weggestrichen. Da muss sich die Karte in einem gedruckten Buch ein wenig bescheidener geben – sie kann nur eine Auswahl der wichtigsten und beständigsten Plätze enthalten, sie ist subjektiv und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Tagesaktualität (s. S. 9).
Gerade wegen der Beschränkung ergibt sich aber auch die Möglichkeit, selbst noch etwas Neues, Besseres, Überraschendes zu finden. Genau darauf muss sich einlassen, wer durch Istrien reist: Stehenbleiben, wo es nett aussieht, neugierig sein, fragen, anklopfen, die betagte nonna auf der Hausbank ins Gespräch ziehen, die einheimischen Gäste am Nebentisch und den Lieferwagenfahrer mit den Weinkisten ansprechen. Die schönsten Erlebnisse in den Dörfern und Städten sind uns einfach passiert, manche Freundschaften sind aus Zufallstreffen hervorgegangen, tolle Rezepte stammen von wildfremden Menschen. Wir haben Dutzende Keller, Presshäuser, Hinterhöfe, halbverfallene Schuppen und Kammern betreten, private Kleinstmuseen bewundert, frisch gebrannten Schnaps probiert, ein Stückchen Wurst von der Holzstange heruntergeschnitten bekommen, Rucola aus dem Beet gestochen und ofenfrisches Brot gebrochen. Wir haben angenommen, was uns die freundlichen Menschen anboten. Nur als die bescheidene, nach dem Krieg neu am Čepič-See angesiedelte Bauernfamilie uns ein Zicklein für Ostern schenken wollte, haben wir – gleichermaßen beschämt von dieser Gastfreundschaft wie von der Assoziation des putzigen Tiers mit einem Festtagsbraten – abgelehnt.
Für die notwendigen Kontakte und Annäherungen sollte man ein paar Worte Kroatisch und Italienisch können und sich nicht nur auf die meist guten Deutschkenntnisse der Einheimischen verlassen. Zur Not tut es zumindest ein freundliches „dobar dan / buon giorno“, ein höfliches „molim / per favore“ und „hvala / grazie“ sowie zum Abschied „doviđenja / arrivederci“ oder ländlich istrianisch einfach „bog“, was so viel heißt wie bei uns in ländlichen Regionen „grüß Gott“. Besonders wichtig: „dobar tek“ wünscht guten Appetit und „ziveli“ meint Prost.
Einkaufen / Märkte
1Markt und Markthalle Rijeka
2Markt Labin
3Markthalle Pula
4Schinken, Tinjan
5Käse, Handwerkszeug, Svetvincenat
6Käse, Žminj
7Vodnjan
8Bale
9Buje
10Pazin
11Buzet
12Wein, Višnjan
13Marcana
14Krnica
Wein
1Arman, Vižinada
2Benvenuti, Kaldir
3Degrassi, Savudrija
4Coronica, Umag
5Fakin, Motovun
6Kabola, Momjan
7Kozlovic, Momjan
8Matosevic, Sveti Lovreč
9Pilato, Vižinada
10Radovan, Višnjan
11Roxanich, Nova Vas
12Trapan, Šišan, Pula
13Meneghetti, Bale
Olivenöl
1Agro-Millo, Buje
2Al Torcio, Novigrad
3Antonac, Grožnjan
4Balija, Fažana
5Basiaco Franco, Buje
6Chiavalon, Vodnjan
7Cesar, Motovun, Kaldir
8Dobravac, Rovinj
9Ipša, Oprtalj, Ipši
10Meneghetti, Bale
11Negri Wiliam, Raša
12Olea B.B., Rabac
13Uljara Grubić, Bale
14Uljara Tonin, Vodnjan
15Giancarlo Zigante, Buje
Restaurants
1Bevanda, Opatija
2Navis, Opatija
3Kukuriku, Kastav
4Draga di Laurana, Lovran
5Johnson, Moscenicka Draga
6Plavi Podrum, Volosko
7Argonauti, Opatija
8Stancija Kovacici, Rukavac
9Ostarija da Ugo, Opatija
10Zigante, Livade
112. Peron, Cerovlje
12San Rocco, Brtonigla
13Stari Podrum, Momjan
14Astarea, Brtonigla
15Stari Kastel, Buje
16Malo Selo, Buje
17Monte, Rovinj
18Damir i Ornella, Novigrad
19Giannino, Rovinj
20Barba Danilo, Rovinj
21Buscina, Umag
22Pergola, Savudrija
23Marina, Novigrad
24Konoba Cok, Novigrad
25Pepe Nero, Novigrad
26Petra, Vrsar
27Sveta Nicola, Porec
28Stancija Meneghetti, Bale
29Alla Beccaccia, Fazana
30Konoba Batelina, Pula
31Milan, Pula
32Villa Anette, Rabac
33Viking, Sveti Lovrec
34Roko, Opatija
35Meating, Pula
36Sveti Jakov,Opatija
Trüffel
ALivade
BMotovun
CBuzet
DPaladini
Was die besondere, nachhaltige Anziehungskraft Istriens und des Kvarner ausmacht, ist die kulinarische Vielfalt – sowohl in regionaler wie auch in saisonaler Hinsicht. Man sollte sie intensiv und kundig nutzen, wenn man sich durch dieses wunderbare genussvolle mediterrane Dreieck bewegt, isst, lebt und trinkt.
Am Kvarner muss man unbedingt škampi genießen – die hier im Golf und rund um die Inseln gefangenen hellroten und dünnschaligen sind für mich die besten. Sie haben das ganze Jahr über Saison, wohingegen die kleinen Tintenfische, die hier ebenfalls am besten schmecken, eher in der kalten Jahreszeit auf den Teller kommen sollen. Im Herbst sind die Maronen aus den Učka-Wäldern die Besonderheit der Region. Und die Gegend um Opatija ist auch einer der Hotspots der Spitzengastronomie.
Der Süden unterhalb von Labin und dann rund um Pula kultiviert den italienisch-venezianischen Einschlag am stärksten. Das bedeutet Pasta und Fisch, und von diesem nicht nur die großen weißen vom Grill oder aus dem Ofen, sondern auch die kleinen, weniger prominenten Meeresbewohner. Den Sardellen widmet man in Fažana eine eigene Akademie, Einlegekurse im Mai und Fischerfeste im August. Hier macht man auch passablen Malvasija und sehr gutes Olivenöl.
Fisch und Muscheln sind überhaupt die Spezialität der Westküste: Aus dem Limski-Fjord kommen die kleinen istrianischen Austern und hervorragende Miesmuscheln, in Novigrad verehrt man die Jakobsmuscheln mit einem Fest, in Vabriga Sardinen und Muscheln, und die Seezungen-Events ziehen sich die gesamte nördliche Hälfte der Küste entlang. Kein Zufall, dass auch die Dichte der Spitzenrestaurants hier – im Bereich Bale, Rovinj, Novigrad, Poreč – am größten ist.
Ganz oben im Westen, im slowenischen Istrien, wird es dann merkbar triestinisch. Da sollte auf der Speisekarte ein wenig der Einfluss der Habsburgermonarchie zu merken sein, Fleisch und Fisch konkurrieren miteinander, die venezianische Palette reicht von sarde in savor bis zur glasierten Leber, Risotti sind typischer als Nudeln und die Desserts müssen alle Geschmäcker Mitteleuropas spiegeln. Hier wie an der Westküste sind die besten Weingüter nahe, das macht Freude.
Wer Schinken und Rind mag, sucht sich Plätze im westlichen Binnenland – von Poreč landeinwärts in der Umgebung zwischen und rund um Brtonigla und Tinjan, wo man im Oktober das Schinkenfest feiert. Hier wird man mit ein wenig Aufmerksamkeit auch Bauern finden, die Würste, pancetta und ombolo anbieten. Weinstraßen schlängeln sich durchs Land und der Agrotourismus bietet manche Überraschung.
Nördlich davon, zwischen Buje und Momjan im Norden und Vižinada und Višnjan im Süden wird es ohnehin üppig: Hier sind vor allem die ganz großen Winzer und die erfahrensten und kreativsten Olivenbauern zuhause, die seit jeher gut zu essen gewusst haben. Die hügelige Übergangslandschaft zwischen Meer und Trüffelland bietet konsequenterweise aus allen diesen Nachbarschaften alles an. Der Wein hier muss Spitzenqualität beweisen – das gilt sogar für die Rotweine, die nicht unbedingt den besonderen Reiz Istriens ausmachen.
Das Zentrum der Trüffel ist unbestritten das Mirnatal. Der späte Herbst ist daher wohl am besten zwischen Motovun und Buzet, zwischen Vrh und Oprtalj zu genießen, zumal da auch der junge Muskatwein nicht zu verachten ist. Hier finden sich zwar nur wenige Spitzenrestaurants, aber viele gute Köche auch in konobas und Bauernwirtshäusern, wo man es gar nicht erwartet.
Herbst und Winter gehören auch der Čičarija im Nordosten. Hier gibt es Pilze in Mengen, Wild für das fuži-Ragout, köstliche in Wein gekochte Würste und deftige Eintöpfe mit Kohl (Kraut) und Rüben. Am Abhang zum Kvarner bietet sich dann der eine oder andere Platz an, wo sich Spanferkel und Lamm am Spieß drehen oder regionale Bauerngerichte wunderbar verfeinert werden.
Spargel finden wir im Frühling fast überall in den Wäldern der ganzen Halbinsel – von Opatija quer durch das waldige Binnenland bis hinauf zur slowenischen Grenze; so wie die Feigen am Ende des Sommers, den getrüffelten und ungetrüffelten Käse von Schaf, Kuh und Ziege, die fuži und pljukanci und den Kirschstrudel.
Kaum jemand wird dem neugierigen Gast eine präzise Antwort geben, was denn nun gerade hier an einem bestimmten Ort die typische Spezialität sei. Die Antwort findet sich auf dem Teller, auch auf jenen der konobas in den Dörfern ohne Touristenattraktionen und in den agroturizmi. Da gibt es zwar keine kulinarischen Sensationen, aber jeder bessere Gastwirt hat seinen Schinkenmacher, seinen Käser, seine Nudelmanufaktur, und man bäckt das eigene Brot. Zumeist ist auch der Hauswein nicht gering zu schätzen. Der selbstgebrannte Schnaps, travarica oder loza, sowieso.
Kaum irgendwo anders zeigt sich die kroatisch-italienische Zweisprachigkeit Istriens so deutlich wie in der Küche.
Alle Fische benennt man auf dem Markt und im Restaurant mit kroatischen und italienischen Namen, der Teller heißt sowohl piatt als auch tanjur, der Markt nennt sich sowohl mercat als auch tržnica, der prosciutto ist zum pršut verballhornt, risotto zum rižot, pasta zur pašta und limone zu limun; škampi ist ein Wort beider Sprachen, so wie barka, pancetta, tartuf(fo) oder vino.
Der Grund hierfür ist, dass das Land viele Jahrhunderte lang in eine slawische und eine venezianische Hälfte geteilt war und beide Seiten miteinander lebten, kommunizierten, sangen, aßen und tranken – wenn die Politik es zuließ. Da gab es auch dunkle Zeiten, doch heute ist das Verhältnis beider Sprachen und Ethnien entspannt. Auf den Ortstafeln ebenso wie in den Speisekarten und beim Reden sowieso. Da fängt ein Satz schon mal auf Kroatisch an und endet auf Italienisch. Wobei beide Sprachen in einem Dialekt daherkommen, der sich deutlich und selbstbewusst der jeweiligen Hochsprache entgegenstemmt.
Ein wenig österreichisches Deutsch ist auch noch dabei: Schnitzel (šnicle), Karfiol (Blumenkohl), Palatschinken (Pfannkuchen, palačinke), Kipferl (Hörnchen, kiflice), Cremeschnitte (kremšnita), Torte oder Brösel (prezle) versteht hier jeder, paradajz (Paradeiser, Tomate) ist auch noch nicht verdrängt, marelica sowie šlag verteidigen die Marille und das Schlagobers gegen Aprikose und Sahne. Und dinstati sowie faširati (faschieren, durch den Wolf drehen) sind präzise verständliche Zubereitungsarten.
Dieses wunderbare pasticcio, diese mješavina, diese Mischung macht das Reden einfach, mitunter aber auch etwas undeutlich: Der Duden kennt für den deutschen Sprachgebrauch nur den Begriff „istrisch“, um etwas als „zu Istrien gehörend“ zu bezeichnen. Vor Ort aber weiß niemand definitiv zu sagen, ob es „istrianisch“ oder „istrisch“ heißt. Erstere Version wird im stärker italienisch gefärbten Sprachkontext verwendet, letztere ist für die kroatische Community typisch. In diesem Buch soll es „istrianisch“ heißen. Nicht aus Italophilie, sondern weil es melodiöser, bunter, weicher klingt. Und weil man ja auch die Nachbarschaft italienisch und nicht italisch nennt.
Und noch etwas Wichtiges: Wenn hier von Istrien die Rede ist, dann meint das nicht nur den kroatischen Verwaltungsbezirk Istrien, sondern natürlich auch den Kvarner, der zu einem anderen Bezirk gehört, aber untrennbar ein Kern der Region ist.
Das inspirierende Nebeneinander von Meer und Bergen macht den Reiz Istriens aus. Auch den seiner Menschen und seiner Küche. Daher soll das erste Kapitel in diesem Buch diese Verbindung spiegeln.
Die istrianische Küche ist keine rein mediterrane Fischküche wie in anderen Regionen des Südens, die nur Leichtes aus dem Meer, dem Gemüsegarten und dem Kräuterbeet anbietet, allenfalls begleitet von ein paar Nudeln oder Reis. Da ist auch Deftiges dabei, vom Schwein oder boškarin-Rind, vom Wild, aus der Räucherkammer oder dem Wurstkessel, mit festen Kartoffeln, Kohl und Rüben dazu. Und mitunter trifft sich beides zu Kombinationen, die die Landkost bereicherten, lange bevor Surf and Turf aus Amerika überschwappte.
Die Kombination ist kein Zufall: Die kleinen Fischerorte und die römisch-venezianischen Hafenstädte hatten ihre eigene Küche, die sich an dem orientierte, was das Meer lieferte. Aber die kleinen Bauerndörfer am darüber liegenden grünen Abhang der Ostseite lagen ebenso wie die drögen Marktflecken des fruchtbaren Westens mitunter keine Stunde Eselsritt oder Fußmarsch davon entfernt. Es musste eins zum anderen kommen, und das täglich. Die Frauen, die frühmorgens ihre Ware zu den Märkten hinunterschleppten, hatten Tomaten, Kartoffeln, Kohl, Salat, Bohnen, Fenchel, Pilze, allerlei Käse, Maronen, Essig und Schnaps dabei – und kamen, so sie es sich vom Verdienten leisten konnten, abends mit den billigeren und fetteren Fischen und einer Flasche schweren Rotweins nachhause. Polenta, Salat und Kirschen hatten sie oben und unten, so wie den weißen Malvasierwein, Feigen, Zwiebeln und Knoblauch.
Dazu kamen die Jahreszeiten: Wenn im Herbst in den Wäldern das Wild erlegt wurde, verkaufte sich das auch unten in den Hafenorten recht gut, und im Winter fand das Geräucherte und Gepökelte beste Aufnahme in den konobas und trattorias der Fischer und Seefahrer. Da alles eine Arme-Leute-Küche war, was bekanntlich der Qualität und Quantität des Verarbeiteten immer guttut, wurde alles restlos verwertet, und das zur jeweils besten und reifsten Zeit. Schließlich würzte noch die Nachbarschaft von Venedig und der Habsburgermonarchie die Küchenzettel: Kam der Reis und der Risotto aus der einen Richtung, so stammten Mehlspeisen und Gulasch von der anderen. Beides fand zu friedlicher Koexistenz – ganz im Gegensatz zur realen Geschichte, in der die beiden Mächte jahrhundertelang die Untertanen der jeweils anderen Seite dahinmetzelten.
Heute finden sich auf dem aktuellen Speisezettel der besseren Leute und Restaurants škampi mit skuta, dem frischen Bergkäse; mediterrane Teigtaschen werden mit Kalbsragout gefüllt, Wildspargel passt zu Krustentieren und Trüffel mitunter zum Fisch. Das Osterfrühstück ist ein Reigen von Schinken, Gebäck, Eiern und bakalar, am Grillfeuer treffen einander Branzin und Lammkotelett, lignje und pljeskavica und aus dem mediterranen Oktopus macht man ein kaiserlich-königliches Gulasch. Dass dennoch Pizza noch nicht speisekartendeckend zum Wiener Schnitzel gefunden hat, ist wahrlich kein Nachteil.
Eine der besten Kombinationen von Garten und Meer, die in den Küstenregionen Istriens zu haben ist. Ich komme im August und September, zur Zeit der frischen weichen Bohnen, zweimal die Woche mit den beiden wichtigsten Zutaten im Korb aus der Markthalle, um mich zuhause in diese Vorspeise geradezu einzugraben.