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Christian Matthai, Thomas Wörz · Der hungrige Schüler

Christian Matthai, Thomas Wörz

Der hungrige Schüler

Auswege aus der Ernährungsfalle

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Inhalt

Vorwort

Wie steht es um unsere Kinder?

Zahlen, Daten, Fakten

Unsere Kinder sind zu dick: Warum und wie schnell wir zunehmen, aus welchem Grund uns das nicht egal ist und wie der Plan aussieht, es zu ändern

Die Elternrolle – schmeckt Ihnen das?

Wenn der Stress nachlässt, profitiert die Beziehung

Erziehung als Wettbewerb und wie er sich auf die Kinder auswirkt

Die Figur liegt bei uns in der Familie!

Gründe und Ausreden für überschüssige Kilos auf der Waage

Veranlagung, individueller Stoffwechsel, Mikrobiom, Gewicht der Mutter, hormonelle Störungen und gesellschaftliche Veränderungen

Wasser predigen, Cola trinken

Ein Blick in den Spiegel: So werden Sie ein Vorbild

Beobachtung und Nachahmung (Spiegelneuronen)

Einkaufen? Kochen?

Bei dem Stress?

Warum wir im Stress Süßes und Fettes wollen und was wir wirklich bräuchten. Alles über Makro- und Mikronährstoffe, wie Vitamine beim Zubereiten erhalten bleiben und ob Bio tatsächlich die bessere Wahl ist. Es schmeckt, es sieht schön aus und es riecht gut: Wie man der Familie Gesundes schmackhaft machen kann

Essen toll oder Nase voll

Gemeinsam speisen und die Beziehung stärken

Rituale, auch die rund um den Esstisch, geben Geborgenheit

Hungern bringt’s nicht!

Anders essen ist besser als weniger essen: Wo sich die meisten Kalorien verstecken, was Zuckerersatzstoffe und Light-Produkte wirklich können und warum man Chips nicht völlig aus dem Leben verbannen muss

Wenn das Gummibärchen zurückbeißt

Warum Verbote motivieren

… und Argumente wie „Das ist aber gesund!“ bei Kindern nicht ziehen

Zu dick oder zu dünn?

Isst mein Kind zu viel oder zu wenig? Historisches, Richtwerte und der Mythos des Satzes „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!“

Ein Löffel für die Mama, kein Löffel für den Papa

Auf den Körper hören statt auf die Eltern

Hunger oder Appetit: Warum das „Bauchgefühl“ entscheidend ist

Kann ich meinem Kind beibringen, bewusst zu essen?

Wie man spielerisch ans Thema Essen herangeht und welche Rituale dafür notwendig sind

Es fliegt … und es ist grün

Warum es in Ordnung ist, mit dem Essen zu spielen

Wer den Reis mit der Tomatensauce vermanscht, lernt viel fürs Leben

Wir sind Stubenhocker – (k)eine bewegende Tatsache

Wie geht noch mal ein Purzelbaum? Alltagsbewegung contra Marathonlauf

Fußballplatz & Flimmerkiste

Fernsehen ist nicht immer schlecht

Wie man sich Vorbilder auf der Mattscheibe zunutze machen kann

Rache im Rachen

Essen darf keine Strafe sein

Und auch kein Druckmittel

Macht Junk Food depressiv?

Fast, Junk & Mood Food

Hungergefühl oder Hunger nach Gefühl?

Wenn nicht nur der Magen beruhigt wird

Essen als Kompensation

Wer mag den dicken Franzi?

Der Zusammenhang zwischen geringem Selbstwert und Essstörung

Über die heilende Wirkung des Satzes „Wir lieben dich, weil es dich gibt“

Der „gute“ Ernährungstag

Tipps für Frühstück/Mittagessen/Abendessen/Zwischenmahlzeit/Auswärtsessen

10 goldene Ernährungsregeln

Gratulation

Literatur

Vorwort

Dass gesundes Ernährungsverhalten für ein vitales Leben von großer Bedeutung ist, weiß mittlerweile nahezu jede/r. Es ist aber weitaus weniger bekannt, wie viele Einflussfaktoren dabei eine Rolle spielen. Kinder und Erwachsene auf den Geschmack von Speisen zu bringen, die ihnen guttun, scheint ein steiniger Weg zu sein. Wer sich erst einmal an fettes, salzreiches und gezuckertes Essen gewöhnt hat, muss seine Geschmacksnerven erst wieder an Sanfteres gewöhnen, wer hastig, schnell und zwischendurch isst, muss erst wieder zur Ruhe finden!

Ruhe beim Essen, der Genuss desselben und der bewusste Umgang mit Lebensmitteln haben aber auch noch einen Nebeneffekt: den Verlust von ein paar Kilos. Und damit sind wir beim Thema: Tendenziell steigt die Zahl übergewichtiger Menschen an, auch unter unseren Kindern. Das Bild des übergewichtigen „Computerkindes“ (in unserem Buch hat es sein Alter Ego im dicken Franzi), das seine Freizeit Pizza verdrückend vor dem Bildschirm verbringt, unter Haltungsschäden leidet und die wesentlichsten Bewegungsmuster verlernt hat, geistert als Schreckgespenst durch die Köpfe vieler Eltern. Wie viel vom Verhalten unserer Kinder ist aber ganz einfach ein Abbild unser selbst? Sehen uns unsere Kinder beim Genießen zu oder beim Aufwärmen und hastigen Verschlingen von Fertig- oder Halbfertigprodukten aus dem Supermarkt? Sind das Einkaufen für, das Zubereiten und das Einnehmen von Mahlzeiten bewusste familiäre Akte oder lästige zu erledigende Nebensachen?

Wonach hungern unsere Kinder wirklich? Nach Burgern oder nach Zuwendung? Was setzt sie unter Druck? Wovor haben sie Angst? Etwa davor, geforderte Leistungen nicht erbringen zu können? Und wie steht es mit unserer eigenen Angst, im Leben nicht zu entsprechen? Geben wir sie an unsere Kinder weiter? Womit bauen wir Stress ab? Mit Sport? Oder belohnen wir uns nach einem stressigen Tag mit Essen oder Alkohol?

Unsere Kinder beobachten uns und ahmen uns nach, weil sie uns lieben. Und wir lieben sie. Nur zeigen wir ihnen dies unter Umständen nicht in einer adäquaten Form. All diese Dinge haben Auswirkungen auf das Essverhalten unserer Kinder und auf lange Sicht gesehen auf deren Gesundheit.

„Der hungrige Schüler“ möchte Ihnen Anregungen und Tipps dafür liefern, wie Sie und Ihre Familie zu einem genuss- und lustvollen Essverhalten (zurück)finden. Und er möchte Ihnen das Vorurteil nehmen, dass diese Veränderung ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Es gibt nicht einen richtigen Weg, es gibt viele. Befassen Sie sich einfach mit den Kapiteln, die Ihnen wichtig erscheinen, und schlagen Sie bei Bedarf immer wieder nach. Geben Sie sich Zeit, um die neuen Informationen zu verarbeiten. Rechnen Sie auch mit Rückschlägen. Aber geben Sie dem dicken Franzi eine Chance, in Bewegung zu kommen.

Wir wüschen Ihnen viel Spaß beim Lesen, viel Erfolg beim Umsetzen und vor allem viel Gesundheit!

Christian Matthai und Thomas Wörz

Wie steht es um unsere Kinder?

Zahlen, Daten & Fakten

Dicke Kinder wiegen nicht nur schwer, sie haben es auch schwer. Und die gesundheitlichen Probleme, die auf sie zukommen können, sind auch keine „Leichtgewichte“. Wer als Jugendliche/r zu dick ist, hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsene/r mit Gewichtsproblemen zu kämpfen. Und es kommt noch dicker: Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die von klein auf übergewichtig sind, durchschnittlich um 7,2 Jahre kürzer leben als Normalgewichtige.

Jedes vierte Schulkind ist zu dick, bei etwa 20 Prozent der übergewichtigen Kinder lautet die Diagnose sogar Fettsucht/Adipositas. Diese ernst zu nehmende Erkrankung entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten zur globalen Epidemie und bedroht immer öfter auch Kinder und Jugendliche. Neben dem persönlichen Gesundheitsrisiko stellt die Adipositas eines der größten gesundheitsökonomischen Probleme des 21. Jahrhunderts dar. Zahlreiche Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, diverse Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenksprobleme und Haltungsschäden können die Folgen jahrelangen Fehlverhaltens beim Essen sein.

In den USA sehen die Zahlen noch einmal düsterer aus: Die tägliche Kalorienaufnahme der Kinder hat sich zwischen 1977 und 2004 mehr als verdoppelt. Andererseits haben bereits mehr als die Hälfte aller 15-Jährigen die erste Diät hinter sich. 90 Prozent der Kinder haben reichlich an ihrem Körper auszusetzen, 40 Prozent der 10- bis 12-Jährigen sorgen sich um ihr Gewicht und bis zu einem Viertel experimentieren regelmäßig mit Abführmitteln, Pillen oder Ähnlichem.

Und bei uns? Im Auftrag des österreichischen Gesundheitsministeriums fassen das Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien und die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in regelmäßigen Abständen Statistiken für den aktuellen Ernährungsbericht zusammen.

40 Prozent der Erwachsenen sind übergewichtig. Dies ist das Ergebnis aus zu wenig Bewegung und ungesundem Essverhalten.

Gut ein Fünftel der Mädchen und gut ein Viertel der Jungen zwischen 7 und 14 Jahren sind übergewichtig, davon sind 6 beziehungsweise 9 Prozent adipös. Im Vergleich zum Ernährungsbericht aus dem Jahr 2008 ist die Anzahl der Übergewichtigen bei den Mädchen von 10 auf 16 Prozent und bei den Jungen von 12 auf 17 Prozent gestiegen. Die adipösen Fälle sind hier nicht mit einberechnet. Zusätzlich bestätigen geografische Analysen ein Ost-West-Gefälle. Kinder, die im Osten Österreichs aufwachsen, sind von Gewichtsproblemen öfter betroffen als diejenigen im Westen.

In der 2010 veröffentlichten HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children) wurden SchülerInnen zwischen 11 und 17 Jahren aus insgesamt 40 Staaten untersucht, um deren Lebensstil und Gesundheitszustand zu evaluieren. Für Österreich brachten die Resultate wenig Erfreuliches: 17,2 Prozent der SchülerInnen leiden unter Einschlafstörungen, 14,4 Prozent unter häufigen Kopfschmerzen. Nur 20,4 Prozent halten sich an die Empfehlung, sich mindestens 1 Stunde pro Tag körperlich zu betätigen. Im Durchschnitt verbringen SchülerInnen während der Woche 5 Stunden und in schulfreien Zeiten 7 Stunden pro Tag vor dem Computer oder vor dem Fernsehapparat.

57,6 Prozent essen nicht täglich Obst oder Gemüse, dafür konsumieren 39 Prozent täglich Süßes oder Limonaden oder auch beides.

32,6 Prozent der 17-Jährigen rauchen täglich und 60,4 Prozent der 17-Jährigen trinken mindestens einmal pro Woche Alkohol. Knapp jede/r fünfte Jugendliche zwischen 15 und 17 gibt an, zumindest bereits einmal Cannabis konsumiert zu haben.

Ergebnisse anderer Untersuchungen zeigen, dass die Mehrheit der Kinder weder auf einem Bein stehen noch rückwärts laufen oder Purzelbäume schlagen kann. Offensichtlich hat die junge Generation einfachste Bewegungsmuster verlernt.

Egal ist uns das scheinbar nicht: Eine Online-Befragung der Sophie Karmasin Market Intelligence GmbH vom Juni 2012 ergibt, dass Österreichs Eltern sehr wohl auf die kulinarische Erziehung ihrer Kinder wertlegen.

77 Prozent der Befragten wollen ihr Bewusstsein für gesunde Ernährung bilden, 71 Prozent wollen, dass ihre Kinder bewusst wahrnehmen, was gegessen und getrunken wird, 57 Prozent wünschen sich Freude am Ausprobieren neuer Lebensmittel und 55 Prozent möchten, dass ihre Kinder beim Essen Qualitätsunterschiede erkennen.

Deswegen verfolgen wir einen Plan: Der nationale Aktionsplan Ernährung (NAP Ernährung) ist eine bundesweite Initiative mit dem Ziel, das Ernährungsverhalten der ÖsterreicherInnen zu verbessern. Gesundes Essen soll zukünftig nicht nur Akzeptanz finden, sondern auch attraktiv werden. Damit dies gelingt, müssen Emotionen geschaffen werden, die sowohl die Herzen der Kinder als auch die der Erwachsenen erreichen.

Obwohl die Eltern und das familiäre Umfeld die wohl wichtigsten Grundvoraussetzungen für ein gesundes und wachstumsgerechtes Ernährungsverhalten darstellen, bleibt der Appell an die Erziehenden oft ungehört. Dabei würde gerade das in der Kindheit Erlernte eine ganz wesentliche Rolle spielen …

Die Elternrolle – schmeckt Ihnen das?

Wenn der Stress nachlässt, profitiert die Beziehung

Schläft Ihr Kind schon? Sind Sie ganz sicher? Oder haben Sie gerade etwas gehört? Wollen Sie noch einmal nachsehen? Oder noch schnell die E-Mail beantworten, die Sie schon den ganzen Tag über beschäftigt? Können Sie sich hundertprozentig auf das Lesen dieses Buches konzentrieren?

Selbstverständlich haben Sie vor, Kapitel für Kapitel gewissenhaft aufzusaugen und alle Ratschläge schnellstmöglich in die Tat umzusetzen. Sie wissen ja: Die Nachbarskinder essen Rote Rüben und freuen sich über einen Apfel im Schulrucksack. Und Ihr Kind? Das schreit täglich nach Pommes und Burgern. Dies gilt es zu ändern!

Ein neues Kochbuch haben Sie im Internet bereits geordert. Die Adresse des Bio-Supermarkts wird demnächst im Navi gespeichert. Und wenn wir schon bei Vorsätzen sind: Wann waren Sie das letzte Mal im Fitnesscenter? Wie lange zahlen Sie eigentlich schon die Mitgliedsgebühr? Liebe Leserin, lieber Leser: Sind Sie etwa gestresst?

Lassen Sie uns Ihre Situation wissenschaftlich analysieren und damit beginnen, Ihre Elternrolle mit all ihren Herausforderungen zu betrachten. Danach folgen Tipps, wie Sie Ihren Stresspegel herunterfahren können. Sie sind dadurch besser in der Lage, sich auf Ihr Kind einzulassen – und Ihr Kind auf Sie. Wir schaffen die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Ernährungsumstellung.

Analyse und wissenschaftliche Aspekte

Durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen stehen Eltern vor enormen Herausforderungen und unter großem Stress. Der täglichen beruflichen und privaten Gesamtbelastung sowie den überhöhten Ansprüchen, der Elternrolle gerecht zu werden, stehen sehr eingeschränkte soziale und zeitliche Ressourcen gegenüber. Fehlende Rückzugsmöglichkeiten aufgrund schwieriger Familienverhältnisse, wenig Zeit für Freunde und Vertrauenspersonen und kaum Einfluss auf individuelle Freizeitgestaltung fördern ein Ungleichgewicht der Belastungs-Erholungs-Bilanz. Hinzu kommen eine zunehmende Beschleunigung im Bereich der Kommunikationstechnologien, ständige Erreichbarkeit, Fremdbestimmung, fehlende Kompetenzen im Umgang mit Stress sowie der eigene innere Erwartungsdruck, allen Anforderungen zu entsprechen. Die Grenze der psychophysischen Belastbarkeit ist erreicht.

All diese Ansprüche und Erwartungen erzeugen chronischen Stress und führen zu unterschiedlichen psychosomatischen Veränderungen. Besonders bemerkenswert sind dabei Einschränkungen in der Wahrnehmungsfähigkeit. Die Qualität der Sensorik (fühlen, riechen, schmecken, sehen, hören) verringert sich nach und nach. Der Kontakt zu sich selbst geht verloren. Mögliche Folgen: Befindlichkeitsstörungen, Krankheiten und Burn-out.

Dieser Stress wird von den Erwachsenen auf die Kinder übertragen. Anforderungen und Erwartungen der Eltern und die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen, diese zu erfüllen, führen zu einem Ungleichgewicht und zu Überforderung auf beiden Seiten. Das wirkt sich auf die Erziehung und den Umgang mit Kindern problematisch aus.

Typische Erziehungsfallen

Erziehung als Wettbewerb. Eltern wollen ihre Kinder zu den GewinnerInnen in dieser Gesellschaft machen. Sie werden also beim Baby-Englisch angemeldet, und wenn nicht das, so wenigstens – etwas später – zum Klavierunterricht. Sportliches Talent heißt es mit Fußball oder Ballett zu fördern – alles verbunden mit reichlich Logistik und Zeitplanung. Das bedeutet Stress, der nicht nur die Erziehungsberechtigten belastet, sondern den Kindern die Chance nimmt, sich langsam und gesund zu entwickeln. Heranwachsende gewinnen dadurch den Eindruck, sie würden nur geliebt, wenn sie erfolgreich sind und in allen Lebenslagen diszipliniert. Vergleiche mit scheinbar „besseren“ Kindern tun das Übrige. Resultat: Diese Kinder übernehmen die Sichtweise der Erwachsenen und definieren ihren Selbstwert fast ausschließlich über Leistung.

Eltern im Spannungsfeld. Die Zeiten, in denen die Rollen in der Erziehung klar auf Mutter und Vater verteilt waren, sind