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CRAFT BEER
KOCHBUCH

Stevan Paul
Torsten Goffin
Daniela Haug

REZEPTE
Stevan Paul
TEXTE
Torsten Goffin
FOTOS
Daniela Haug

CRAFT BEER
KOCHBUCH

Einleitung

Der Topf am Feuer

Das „grüne Gold“ der Brauer

Am Anfang stand ein IPA

Bitter Sweet Symphony

Bierkultur und Glaskultur

Einladung zum Tasting

FEINE VORSPEISEN & KLEINE GERICHTE

Spargelsalat mit Katenschinken auf gerösteter Butter-Brioche

Frittierte Fischchen auf Frischkäsebrot

Coppa-Knusperstreifen mit Birnenschnitzen und Olivenöl

BIERSTIL

India Pale Ale

Handkäs mit Blasmusik

Soleier

REPORTAGE

Feral Brewing Company

Sprotten auf Blinis mit Rote-Beete-Salat und Forellenkaviar

Bier-Pizza mit Sauerkraut, Romadur und Majoran-Sahne

REPORTAGE

Private Landbrauerei Schönram

Bacon Jam

Senf-Nierchen mit Blattspinat auf Toast

BIERSTIL

Imperial Stout

Liptauer-Aufstrich „Chefstyler Art“

Kepta Duona

Kürbis-Rösti mit gebratener Entenleber und Mandarinen

REPORTAGE

The Kernel Brewery

Rote Beete mit Pancetta und karamellisierten Walnüssen

Salat von dreierlei geröstetem Kohl mit Räucherforelle und Zitrone

BIERSTIL

Alt

Apfel-Käse-Salat mit geräuchertem Scamorza in Senf-Dill-Vinaigrette

In Butter gegarter Lauch mit Bündnerfleisch und gerösteten Nüssen

REPORTAGE

Landbrauhaus Hofstetten

Gebratener Baby-Lauch mit Ofenkäse und Pellkartoffeln

FISCH & MEERESFRÜCHTE

Aal „Unagi“

Moules à la bière mit Dillbratkartoffeln und Sauce andalouse

REPORTAGE

Bogk-Bier Privatbrauerei

In Nussbutter gebratene Jakobsmuscheln mit Nektarinen-Frisée-Salat

Fish & Mushy Peas

BIERSTIL

Weizen

Dorade aus dem Salzmantel mit Zitronen-Sabayon

Räucherbückling aus dem Ofen

REPORTAGE

BRLO

Gebratener Lachs auf Paprikagemüse mit Estragonmayonnaise

FLEISCH & ROTISSERIE

In Bier geschmorter Schweinebauch mit Blaubeeren und Rotkohlsalat

REPORTAGE

Brasserie Cantillon

Doppel-Kalbskotelett auf Ofen-Möhren mit Vanillebutter

Hähnchenragout in Dunkelbiersauce mit krosser Hühnerhaut

BIERSTIL

Pilsener

Hirsch-Schnitzel mit Kartoffel-Gremolata und Biersauce

Cremige Malzbierpolenta mit Bratwurst und Fenchelsalat

REPORTAGE

Schneider Weiße

Salted Meat Bagel „Brick Lane“

Gebratene Blutwurststulle mit Spiegelei und Petersiliensalat

Cheeseburger mit Bierzwiebeln und Mustard-Ketchup

REPORTAGE

Ale-Mania

Kaninchen „The Whole Beast“ mit Lauch, Birnen und Bier

Kalbsfrikadellen mit Rahmpilzen

BIERSTIL

Bock

Bratwürste aus dem Zwiebelsud

Risotto mit Birnen, Bier, Speck und Radicchio

REPORTAGE

Kehrwieder Kreativbrauerei

Kalbsherz mit Bratkartoffeln

Entrecôte mit Balsamicobutter-Sauce und Brombeeren

Bierbraten „Pulled Pork“ mit Kartoffelstampf und Mais

REPORTAGE

Vormann

Bier-Jus

Rillette

BIERSTIL

Gose

Schwarzkohl mit süßen Kartoffeln und Tiroler Speck

Geschmorte Bierrippchen mit Apfelsauerkraut

REPORTAGE

Uerige

KLASSISCHE BIERKÜCHE & BIERSNACKS

Bierzwiebeln

Zweierlei Käseknusper

Bierbrot

BIERSTIL

Lambik, Geuze

Stilton mit Blutorange

Käseterrine im Lauchmantel

REPORTAGE

Brouwerij de Molen

Backhendl mit Barbecuesauce

SÜSSES & DESSERTS

Limetten-Tropfquark mit gebratener Ingwer-Ananas und Cashewkernen

Apfelmuffins mit Karamellsauce

REPORTAGE

Sierra Nevada

Schoko-Brownie-Kuchen mit O range und geschmolzenen Feigen

Berliner-Weiße-„Wackelpeter“

BIERSTIL

Kriek

Süße Bierwaffeln mit Sauerkirschen und Vanillejoghurt

Joghurt-Mousse mit Karamell und Baiser

BIERSTIL

Witbier

Mango mit Marzipanbröseln undVanillejoghurt-Limetten-Sauce

Berliner-Soufflee mit Himbeersauce

Eine Entschuldigung … … und einige Bücher

Register

Dank

Team

Impressum und Abbildungsnachweis

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„WER BIER TRINKT, LEBT HUNDERT JAHRE"

ITALIENISCHES SPRICHWORT

BRAUEREIEN

Cantillon – Brüssel, Belgien

de Molen – Bodegraven, Niederlande

BRLO – Berlin

Uerige – Düsseldorf

Hofstetter – St. Martin, Österreich

Vormann – Hagen

Kehrwieder Kreativbrauerei – Hamburg

Ale-Mania – Bonn

Schönramer – Petting

Schneider – Kehlheim

Kernel – London, UK

Bogk Bier – Berlin

Feral Brewing – Baskerville, Australien

Keine Frage – so viel Bier wie zur Zeit war selten! Kaum ein Wochenende, an dem sich nicht irgendwo in Europa tausende von Menschen träfen, um auf Festivals gemeinsam Biere zu probieren, kein Monat, in dem nicht irgendwo eine Brauerei mit der Produktion von individuellen, handwerklich hergestellten Bieren weit abseits der Uniformität der großen, bekannten „Fernsehbiere“ startete.

Craft-Bier – vom angelsächsischen Begriff für Handwerk – lautet der Name des Phänomens, dessen Ursprünge jenseits des Atlantiks liegen. Begonnen hat dort alles vor etwas mehr als drei Jahrzehnten als trotzige Reaktion auf die extrem monoton gewordene amerikanische Bierlandschaft. Brauen zur Selbsthilfe, sozusagen. Inzwischen ist daraus eine weltweite Bewegung erwachsen, die in ihrem Ursprungsland zum alltäglichen Bestandteil der allgemeinen Bierkultur geworden ist – kaum ein Supermarkt in den USA heutzutage, der nicht über ein reichhaltig gefülltes Regal mit Craft-Bieren verfügen würde.

Davon sind wir hierzulande zwar noch weit entfernt. Doch auch in Europa finden sich immer öfter IPA, Porter, Gose, Lambik, Stout und Ale: mit großer Hingabe und Leidenschaft produzierte Biere – gebraut von Menschen, die Bier in erster Linie als wertvolles Kulturgut begreifen und nicht als zur Profimaximierung hergestellte Ware.

Einige der Protagonisten dieser Bewegung wollen wir in diesem Band vorstellen – ein bunter Mix aus Platzhirschen und Newcomern, ergänzt von alteingesessenen, traditionellen Brauereien.

Dazu werfen wir natürlich auch einen Blick auf deren Erzeugnisse: die Biere. Dies vor allem unter Berücksichtigung eines Aspekts, der bislang oft zu kurz kam, wenn von Craft-Bier die Rede war: dem dazu passenden Essen.

So finden sich in diesem Buch – neben einigem Wissenswerten zu Bieren und Braustilen – auch 57 von Stevan Paul eigens für das Kochen mit und zum Bier entwickelte Rezepte mit konkreten Vorschlägen, welche Biere man mit den Speisen kombinieren kann. Eines ist uns dabei besonders wichtig: So konkret die einzelnen Vorschläge auch sein mögen – nichts liegt uns ferner als Dogmatik. Wir wollen keine festen, unumstößlichen Regeln aufstellen, sondern Anregungen geben. Vor allem aber wollen wir Lust darauf machen, in eigenen kulinarischen Streifzügen die hochspannende Welt und bunte Vielfalt der neu erwachten Braukultur zu entdecken.

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DER TOPF AM FEUER

VOM WESEN DES BRAUENS

„In den Urzeiten versammelten sich die Menschen
abends am Feuer mit einem Kessel Getreidebrei. Schoben sie
den etwas näher ans Feuer, bekamen sie Brot, schoben sie ihn
etwas weiter weg, bekamen sie Bier.“

So beschreibt der Berliner-Weiße-Brauer Andreas Bogk die Anfänge der Bierkultur. Zugeben: Seine Beschreibung ist stark verkürzt – sie trifft aber zwei Punkte höchst präzise: Zum einem die enge Verwandtschaft zwischen Brauen und Brotbacken, zum anderen den extrem langen Zeitraum, den die Menschheit sich schon mit dem Brauen beschäftigt. Die ältesten Überlieferungen zum Thema sind rund 6000 Jahre alt und stammen von den Sumerern – Anthropologen und Archäologen gehen aber davon aus, dass die Geschichte des Brauens (und die des Backens) schon mit dem Wechsel der Lebensweise vom Jäger und Sammler hin zu Ackerbau und Viehzucht beginnt – wir Menschen uns also seit mindestens 11.000 Jahren Bierartiges zusammenbrauen. Ein stehen gelassener Topf mit gekochtem Getreide – und ein paar Tage später die Entdeckung der verblüffend beschwingenden Wirkung des bedrohlich vor sich hin blubbernden Breis, so sah vermutlich die Geburtsstunde des Urahns aller Biere aus.

Doch was passiert da eigentlich genau? Und ist Bierbrauen tatsächlich so einfach? Im Prinzip ja, ist die Antwort. Im Detail allerdings lautet sie eher wie der Beziehungsstatus vieler Facebook-Mitglieder: Es ist kompliziert! Kern jeder Bier-Genese ist jedenfalls die alkoholische Gärung, also die Umwandlung von Zucker in Kohlendioxid und Alkohol durch Hefe. Die dazu notwendige Hefe findet sich überall in der Luft. Deswegen beginnen zuckerhaltige Flüssigkeiten nach kurzer Zeit ganz automatisch zu gären. Spontangärung nennt sich das und einige Biere, zum Beispiel das belgische Lambik, werden bis heute so vergoren. Aber warum wird dann eigentlich nicht aus jedem länger aufgehenden Hefeteig innerhalb kürzester Zeit eine alkoholgeschwängerte Masse?

Ganz einfach: Weil Hefen nur Zucker vergären können – doch der ist in Getreide praktisch kaum als solcher vorhanden. Denn um dem höchst energiereichen Zucker im Getreidekorn vor Hefen und anderen „Räubern“ zu beschützen, hat sich die Evolution ein spezielles Speicherformat einfallen lassen: die Stärke. Die ist zwar auch nichts anderes als eine lange Kette von Zuckermolekülen, aber eben genau dadurch vor dem Zugriff von Hefen geschützt. Zu einzelnen Zucker-Molekülen wird die Stärke nämlich erst wieder in dem Moment, in dem die in ihr gespeicherte Energie tatsächlich gebraucht wird – beim Keimen. Das geschieht mit Hilfe von bestimmten Enzymen, die in Spuren schon im Korn vorhanden sind, in voller Menge aber erst im Bedarfsfall gebildet werden. Wer also Bier brauen möchte, muss als Erstes dafür sorgen, dass die im Korn vorhandene Stärke zu Zucker umgewandelt werden kann.

Und genau das ist es, was beim Mälzen, dem ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zum Bier, passiert. Wie wichtig er ist, erkennt man auch daran, dass der offizielle Ausbildungsberuf in Deutschland „Brauer und Mälzer“ heißt. Doch auch wenn die Bezeichnung die beiden Tätigkeiten unmittelbar miteinander verbindet, ist das Mälzen zur Aufgabe von Spezialisten geworden, die wenigsten Brauereien mälzen heutzutage noch selbst. Eine der raren Ausnahmen: die Münchener Augustiner Brauerei, die dafür sogar noch das traditionelle Tennenmalz-Verfahren einsetzt, das zwar aromatisch überlegen ist, aber aus Effizienz- und Kosten-Gründen kaum noch zum Einsatz kommt.

Das Grundprinzip des Mälzens ist einfach: Durch Feuchtigkeitszufuhr und eine geeignete Temperatur wird die Keimung des Getreides in Gang gesetzt, sodass das Korn mit der Bildung der zum Stärkeabbau notwendigen Enzyme beginnt. Dann stoppt man diese Keimung durch Trocknung, Darren genannt, bevor das Korn die in ihm enthaltene Stärke selbst verstoffwechseln kann. In früheren Zeiten wurde dafür das feuchte Malz über offenem Feuer getrocknet – ein kräftiges Raucharoma im fertigen Produkt war die unvermeidliche Folge. In bestimmten Bierrezepturen finden sich solche Rauchmalze auch heute noch. In Bamberg haben sich gar Biere gehalten, die ausschließlich mit Rauchmalz gebraut werden. Aber auch die Temperatur beim Darren hat einen starken Einfluss auf die aromatischen Eigenschaften und die Farbe des Malzes. Jeder Schmorbraten-Liebhaber und jeder Brotbäcker kennt die Maillard-Reaktion, bei der Kohlenhydrate und Eiweiße dunkle, wohlschmeckende Röststoffe entwickeln, wenn eine bestimmte Temperatur erreicht wird. Nichts anderes passiert bei den sogenannten Röstmalzen.

Die beiden ersten Schritte beim eigentlichen Brauen sind das Schroten und das Maischen. Die grobe Zerkleinerung des gewählten Malz-Mixes – für ein gutes Bier werden meist Malzsorten unterschiedlicher Machart und Eigenschaften zu einer Komposition zusammengefügt – macht Stärke und Enzyme zugänglich. Das langsame Erhitzen löst die Bestandteile heraus und aktiviert gleichzeitig bei bestimmten Temperaturstufen verschiedene Enzyme. Mit dem sogenannten Rasten, dem Verweilen bei diesen Temperaturstufen, gibt der Brauer den Enzymen Gelegenheit, ihre Wirkung zu entfalten und steuert so Faktoren wie Schaumbildung, Haltbarkeit, aber auch Klarheit und Süße seines späteren Bieres. Eine Erhitzung auf rund 75 ° C, die alle in der Flüssigkeit vorhandenen Enzyme deaktiviert, und das abschließende Läutern, also die Trennung der festen Kornbestandteile von den flüssigen, schließen das Maischen ab. Zurück bleiben der oft als Viehfutter eingesetzte Treber und die sogenannte Vorderwürze, also die Flüssigkeit, in der sich nun der Malzzucker befindet, den die später hinzukommenden Hefen zu Alkohol vergären sollen.

Zunächst einmal aber wird die Würze mit Hopfen versehen und gekocht. Das löst einerseits die erwünschten, dem Bier Geschmack und Stabilität gebenden Bitterstoffe aus dem Hopfen, tötet zum anderen eventuell mit dem Malz eingebrachte Keime und zerstört schließlich auch die letzten noch verbliebenen aktiven Enzyme. Über die Dauer des Kochprozesses und die damit verbundene Flüssigkeits-Reduktion kann der Brauer schließlich auch den Zuckergehalt der fertig gekochten Würze – und somit den Alkoholgehalt des späteren Bieres – steuern.

Beim sogenannten Ausschlagen wird erneut die Flüssigkeit von den zugegebenen Feststoffen wie dem Hopfen getrennt. Danach wird das Bier heruntergekühlt. Früher geschah das im sogenannten Kühlschiff –, großen kupfernen Becken, meist direkt unter dem Dach der Brauerei – heute meist mit Kühlern in Tanks. Eine weitere Hopfengabe für das Aroma des Bieres schließt sich hier oft an. Dann ist es endlich Zeit für die eigentliche Gärung. Die startet entweder durch die spontane Infektion mit Hefe in der Umgebung, meist aber durch das Zusetzen ausgesuchter Hefestämme. Je nach deren Beschaffenheit wird vom Brauer auch die Gärtemperatur gesteuert.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war in den meisten Regionen der obergärige Braustil üblich, bei dem Hefen verwendet werden, die eine Raum-Temperatur zwischen 15 und 20 °C benötigen, um optimal zu arbeiten. Sie heißen obergärig, weil sie im Gärungsverlauf oben auf dem Flüssigkeitsspiegel aufschwimmen. In Bayern mit seinen kalten Wintern und der sich daraus ergebenden Möglichkeit, auf eigens dafür angelegten Teichen Natureis zu produzieren und in Felsenkellern lange zu lagern, hatte sich dagegen der untergärige Stil, der Gärtemperaturen zwischen 4 und 9 °C benötigt, durchgesetzt. Bei ihm setzen sich die Hefen gegen Ende am Boden des Gärbottichs ab. Untergärige gebraute Biere benötigen eine längere Reifezeit, weshalb sich im englischen Sprachraum bis heute der Gattungsbegriff „Lager“ für sie gehalten hat. Sie sind im Vergleich zu ihren obergärigen Kollegen deutlich länger haltbar – neben der klaren und frischen Aromatik sicher mit ein Grund für den Siegeszug, den sie seit der Erfindung von mechanisch betriebenen Kühlmaschinen und damit der jahreszeitlich und regional unabhängigen Verfügbarkeit von Kälte Ende des 19. Jahrhunderts angetreten haben.

Heutzutage wird das Gros der auf Gerstenmalzen basierenden Biere weltweit untergärig gebraut, nur für Weizenbiere und einige regionale Spezialitäten wie Alt, Kölsch oder britische Ales hat sich das obergärige Verfahren gehalten. Doch egal ob obergärig oder untergärig: Die zur Gärung verwendeten Hefen, genauer gesagt, deren Gärnebenprodukte, sind neben den Aromen von Malz und Hopfen der dritte große Faktor des Geschmacksprofils des fertigen Biers.

Zu dessen Vollendung muss das Jungbier, wie es nach Ende der Haupt-Gärung genannt wird, dann in Drucktanks noch eine gewisse Zeit bei kühleren Temperaturen nachreifen. Kleinere Mengen von verbliebenem Zucker werden während dieser Reifung von der Hefe noch weiter vergoren, das dabei entstehende Kohlendioxid löst sich im Bier und sättigt es schließlich mit CO2. Insbesondere bei Craft-Bier wird zur Reifung eine letzte Gabe Hopfen hinzugegeben. Bei der sogenannten Kalthopfung – auch Hopfenstopfen genannt – werden auch die fruchtig-flüchtigen ätherischen Aromen des Hopfens, die beim Würzekochen sonst in aller Regel verloren gehen, ins Bier eingetragen. Biere von ungewohnt intensiver fruchtiger Aromatik sind die Folge.

Nach Abschluss der Lagerphase ist das Bier dann endgültig zur Abfüllung in Flaschen oder Fässer bereit. Je nach Bierstil wird zuvor blank, also völlig klar, gefiltert oder auch eine gewissen Menge Hefe im Bier belassen. Letzteres auf jeden Fall bei den Bieren, die in der Flasche nachreifen, beispielsweise, weil sie in offenen, nicht druckdichten Gebinden wie Holzfässern gereift sind und noch – wie bei Sekt und Champagner – in der Flasche Kohlendioxid für die erwünschte Spritzigkeit entwickeln müssen. Eine sogenannte Speisegabe in Form von Würze oder auch Glucose gibt den Hefen hierfür die notwendige zusätzliche Nahrung.

Keine Frage: Auf seinem langen Weg durch die Jahrtausende vom ersten zufällig vergorenen frühsteinzeitlichen Kessel Getreidebrei hin zum Bier, wie wir es heute kennen, hat sich zwar eine Menge getan – doch im Prinzip braucht es zum Brauen bis heute nicht mehr als einen großen Kessel und die Möglichkeit, ihn langsam und kontrolliert zu erhitzen. Wie tausende von Hobbybrauern weltweit jeden Tag aufs Neue beweisen.

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DAS „GRÜNE GOLD“ DER BRAUER

WIE DER HOPFEN INS BIER FAND

„... durch seine Bitterkeit verhindert er
einen gewissen Verderb in Getränken, zu denen er
gegeben wird, so halten sie länger.“

HILDEGARD VON BINGEN

Von der mikrobiologisch stabilisierenden Wirkung des Hopfens wusste also schon Hildegard von Bingen zu berichten – und doch lehnte die Universalgelehrte den Einsatz von Hopfen in Bier ab. Sie empfahl stattdessen Eschenblätter und andere Kräuter als stabilisierende und würzende Zusätze für das damals übrigens meist aus Hafer gebraute Bier.

Denn so untrennbar der Hopfen heute für uns mit dem Malz vermählt sein mag, zu Beginn der Braugeschichte waren die beiden noch kein Traumpaar. Stattdessen wurden hierzulande die Biere meist mit Grut gebraut, einer oftmals wild verwegenen Kräutermischung, die überall ein wenig anders zusammengesetzt war und zu deren Bestandteilen zuweilen auch psychotrope Bestandteile wie das Bilsenkraut gehörten.

Erst als die Bremer Hanse Mitte des 13. Jahrhunderts begann, gehopfte Biere in das damalige Welthandelszentrum Brügge zu exportieren, war das der Startschuss für den Siegeszug des Hopfens – zusammen mit dem Wechsel von Hafer auf Gerste letztlich der Anfang des Bieres, so wie wir es heute kennen. Der Endpunkt der Entwicklung war dann das bayrische Reinheitsgebot von 1516, das neben Wasser nur Hopfen und Gerste als Grundstoffe zum Bierbrauen zuließ.

Heute werden weltweit auf fast 50.000 Hektar rund 90.000 Tonnen der bis zu acht Meter hoch wachsenden Pflanze geerntet. Mehr als ein Drittel dieser Menge wird in Deutschland produziert. Hier findet sich folgerichtig auch das weltweit größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet, die sich südlich der Donau zwischen Ingolstadt und Regensburg erstreckende Hallertau. Eine Kulturlandschaft von rund 2.400 Quadratkilometern, deren verbindendes Element der seit dem 8. Jahrhundert belegte Hopfenanbau ist. Hopfen und Bier haben in der in der Hallertau auf vielfältige Weise Spuren hinterlassen. In Form der weltweit ältesten Klosterbrauerei in Weltenburg beispielsweise oder in Form des Deutschen Hopfenmuseum in Wolnzach (mehr unter www.hopfenland-hallertau.de). Vor allem aber natürlich in Form der rund 15.000 Hektar Hopfengärten, die insbesondere kurz vor der Ernte zwischen Ende August und Ende September einen imposanten und besuchenswerten Anblick bieten.

Es gibt über 200 verschiedene Hopfensorten, bei denen man zwei Hauptgruppen unterscheidet: zum einen die sogenannten Bittersorten mit einer möglichst hohen Menge an Alphasäure (der Substanz, die vor allem für Bitterkeit und konservierende Wirkung zuständig ist), zum anderen die Aromasorten, die weniger Alphasäure und deutlich mehr ätherische Öle und andere Aromastoffen beinhalten. Vor allem Letztere sind untrennbar mit der Craft-Bier-Revolution verbunden.

Doch dazu mehr im folgenden Kapitel …

AM ANFANG STAND EIN IPA

„Für eine Menge Menschen ist der erste Kontakt
mit Craft-Bier wie die Entdeckung eines völlig neuen Art
von Musik, von der man vorher noch nie gehörte hatte,
die einen nun aber für den Rest seines Lebens begleiten wird.
Ich meine: Was könnte schöner sein?“

GARRET OLIVER/BROOKLYN BREWERY

Spricht man mit Craft-Bier-Freunden oder gar -Brauern, so erinnern sich erstaunlich viele sehr präzise an ihren lightbulb moment, das Bier, das ihre Sicht auf die Welt des Brauens für immer verändert hat. Beim Australier Brendan Varis von der Feral Brewing war’s beispielsweise das „Delirium Tremens“, ein belgischer Klassiker: „Nachdem ich es getrunken hatte, habe ich einen kompletten Wochenlohn ausgegeben, nur um weitere Biere zu probieren, die ich vorher noch nie gekostet hatte!“

Bei vielen Bierfreunden hört man erstaunlich oft die gleichen drei Buchstaben, wenn die Sprache auf das kommt, was ihre Liebe und Leidenschaft für handwerklich gebraute Biere entfacht hat: I-P-A. Englisch ausgesprochen stehen sie für India Pale Ale – den Bierstil, der das Phänomen Craft-Bier repräsentiert wie wohl kein anderer. Kein Zufall, denn die hopfendominierten IPAs demonstrieren schon vor dem ersten Probeschluck ihren gewaltigen qualitativen Vorsprung vor dem, was gemeinhin unter dem Label „Bier“ verkauft wird. Schon das enorm vielfältige und komplexe Bouquet eines typischen IPAs kündet von einem Geschmackserlebnis, wie es die meisten Biertrinker bis dahin nicht kannten. Grasiggrüne Kräuternoten, Zitrusfrüchte oder Exotisches wie Mango oder Passionsfrucht – IPAs bieten eine aromatische Komplexität, wie man sie sonst eigentlich nur bei großen Weinen findet. Eine fast verstörend üppige Aromen-Vielfalt, die sich am Gaumen fortsetzt. Dort gesellt sich zu den Frucht-Aromen zumeist eine ungewohnt intensive Bitterkeit – in Zeiten, in denen Radicchio, Chicorée und Spargel in neuen Züchtungen systematisch die Bitterkeit ausgetrieben wird, speziell für Novizen durchaus gewöhnungsbedürftig.

Um die Entstehung des imposanten Bierstils ranken sich Legenden. Zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft in Indien sei er entstanden, so wird kolportiert. Und der leicht erhöhte Alkoholgehalt und die überdurchschnittlich kräftige Hopfung seien ursprünglich Maßnahmen gewesen, um das Bier für den langen Seeweg von England nach Indien mikrobiologisch stabil zu machen. Gewissermaßen ein Bierkonzentrat, gebraut mit dem Plan, es am Zielort wieder auf normale Trinkstärke herunter zu verdünnen. Doch das geschmacksintensivere Bier habe dort auch unverdünnt großen Gefallen gefunden – so sei das IPA geboren worden. So schön und nachvollziehbar speziell die Pointe dieser Geschichte auch klingt – historisch belegt ist sie nicht. Klar ist allerdings, dass die Praxis des Hofpenstopfens, also der Hopfengabe nach Abschluss des eigentlichen Brauprozesses, eng mit den ursprünglichen IPAs verbunden ist und sicher auch der Haltbarmachung für die Seepassage diente.