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Das Phytaminprinzip

Jan-Dirk Fauteck
Imre Kusztrich

DAS
PHYTAMIN
PRINZIP

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Besser länger leben
mit Phytostoffen und Hormonen

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INHALT

Die Welt zu unseren Füßen.

1Die versteckten Tricks der Pflanzen. Und wie wir Menschen sie nutzen

1.1Konzepte des Überlebens: Ein Blick ins Innerste der Pflanze

1.2Geniale Nahrung: Was wir essen, schützt und steuert uns

1.3Die Kraft aus der Erde: Hier entsteht das Leben

1.4Uraltes Wissen: Wann die Pflanzenheilkunde begann

1.5Wissenschaftlich erfasst: Pflanzenstoffe, die für uns wirken

1.6Angekommen in der Gegenwart: Die moderne Phytotherapie

2Gefahren für unsere Gesundheit. Und Bedarf an Gegenstrategien

2.1Zuständig für Entzündungen: Zwei Fettsäuren namens Omega

2.2Angriff ohne Vorwarnung: Silent Inflammations

2.3Die dunkle Seite des Sauerstoffs: Freie Radikale

2.4Das Leiden unserer Zeit: Krebs

2.5Alt werden: Biologisch kein Vorteil

3Wie unsere Ernährung versagt. Und was uns rettet

3.1Unter dem Siegel der Wissenschaft: Convenience Food

3.2Nahrung der Urzeit: Sauer, bitter, nährstoffreich

3.3Pizza, Burger, Chips & Cola: Der Hunger spielt verrückt

3.4Fehler im System: Die grüne Apotheke springt ein

4Hilfreiche Substanzen. Und unsere innere Uhr

4.1Die neuen Phytamine: Sie wirken seit Jahrtausenden

4.2Die klassischen Vitamine: Unentbehrlich für alle Lebewesen

4.3Chronobiologie: Wissenschaft der inneren Rhythmen

5Phytostoffe Im Einsatz

5.1Herz, Hirn und Psyche — Anspruchsvolles Herz | Gefährdetes Gehirn | Energie und Burn-out | Verbreitetes Leiden Depression | Gesundheitsfaktor Schlaf

5.2Stoffwechsel und Zellregulation — Volkskrankheit Diabetes | Tückischer Prä-Diabetes | Gewichtsmanagement | Ein gesunder Darm | Krebsabwehr

5.3Knochen, Gelenke und Augen — Prävention von Osteoporose | Maßnahmen gegen Arthrose | Die Kraft der Augen

5.4Speziell für Frauen — Multi-Vitamin-Mineral-Schub für Frauen | Frauengesundheit | Lust der Frauen | Prämenstruelles Syndrom | Weibliche Fruchtbarkeit

5.5Speziell für Männer — Multi-Vitamin-Mineral-Schub für Männer | Männergesundheit | Lust der Männer | Gesunde Prostata | Männliche Fruchtbarkeit

5.6Haut, Haare, Nägel — Schwachstelle Haut | Cellulite, ein Thema der Frauen | Schöne Haare und Nägel | Akne bei Erwachsenen | Entgiftung

6Hormone Starke Helfer

6.1Aus eigener Erzeugung: Schönheit, Weisheit, Lebenskraft

6.2Vielseitiges Östrogen

6.3Aufbauendes Progesteron

6.4Stärkendes Testosteron

6.5Taktgeber Melatonin

6.6Aktivierendes Pregnenolon

6.7Lange unterschätztes DHEA

6.8Human Growth Hormone HGH

7Was wir bekommen. Und was wir brauchen

7.1Was wir bekommen: Mangel und Krankheit

7.2Was wir brauchen: Vorsorge durch Ergänzung

Das Alter in unserer Hand.

Quellenangaben

Webtipps

Die Autoren

Weiterführende Literatur

Die Welt
zu unseren
Füßen.

Was wir essen, macht uns in erster Linie satt: Aus Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß bezieht unser Körper seine Energie, so hat es die Evolution für uns vorgesehen. Doch das genügt noch nicht. Darüber hinaus sind wir Menschen, wie auch alle Pflanzen und Tiere, auf besondere Nährstoffe angewiesen, auf Vitamine und Mineralien, die eine Vielzahl von Funktionen orchestrieren. Von manchen Spurenelementen genügen schon 0,2 Milligramm pro Tag, von anderen brauchen wir 15 Milligramm oder mehr.

Aber auch diese Stoffe reichen nicht aus, um ein langes Leben in Gesundheit zu ermöglichen. Zusätzlich benötigen wir weitere Enzyme, Co-Enzym-Faktoren, Aminosäuren, Präbiotika und Probiotika für die Darmflora, Säurebestandteile von Fetten, Pro-Hormone zur Produktion von Botenstoffen, Antioxidantien zur Neutralisierung aggressiver Sauerstoff-Radikale und Elektrolyte zur Weiterleitung elektrischer Ströme.

Viele dieser Mikronährstoffe muss der Körper von außen beziehen. Andere kann er nur dann bilden, wenn ihm Bestandteile oder Vorstufen regelmäßig und in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Für die Versorgung müssen seine Organe in der Lage sein, sie möglichst vollständig aus der Nahrung aufzunehmen. Eine Fähigkeit, die mit dem Alter schwinden kann.

Spätestens jetzt senken wir unseren Blick zu Boden – auf die Welt der Botanik. Pflanzen absorbieren aus der Erde geballte Mengen an wirkungsvollen Substanzen, manche entwickeln sie auch in ihren Zellen. Besondere Arten wurden im Lauf der Geschichte zu den Superstars der Volksmedizinen aller Welt. Nach und nach kann die Wissenschaft nun die Geheimnisse ihrer Wirkungen aufdecken und erklären, wie sie uns gerade angesichts der Volksepidemien Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Demenz, Osteoporose und Krebs auf vielfältige Weise schützen.

Tausende solcher Substanzen waren einst in der Ur-Nahrung des Menschen enthalten. Möglicherweise wurden sie als Medizin verwendet, seit die Menschheit existiert; Naturheiler in Nordamerika zum Beispiel nutzten etwa 2.500 der ungefähr 20.000 dort heimischen Pflanzen. Doch auch in unserer Zeit sind botanische Wirkstoffe von großer medizinischer Bedeutung: Wissenschaftler der Universität Cambridge haben ermittelt, dass fast 7.000 Stoffe, die in den amtlichen Arzneibüchern und Rezeptarien unserer Zeit aufgelistet sind, von Pflanzen stammen.

Für die interessantesten Lieferanten der neuen Hauptwirkstoffe haben die Autoren dieses Buches den Begriff Phytamine gewählt.

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DIE
VERSTECKTEN
TRICKS DER
PFLANZEN.

Und wie wir Menschen sie nutzen

 



Das botanische
Arsenal wurde
für den
multifunktionellen
Einsatz
entwickelt.

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1Die versteckten Tricks der Pflanzen. Und wie wir Menschen sie nutzen

1.1Konzepte des Überlebens: Ein Blick ins Innerste der Pflanze

1.2Geniale Nahrung: Was wir essen, schützt und steuert uns

1.3Die Kraft aus der Erde: Hier entsteht das Leben

1.4Uraltes Wissen: Wann die Pflanzenheilkunde begann

1.5Wissenschaftlich erfasst: Pflanzenstoffe, die für uns wirken

1.6Angekommen in der Gegenwart: Die moderne Phytotherapie

 

1.1
Konzepte des Überlebens:
Ein Blick ins Innerste der Pflanze

Was können botanische Substanzen im menschlichen Körper bewirken? Um das zu erfahren, studieren wir erst ihre Effekte in der Pflanze selbst. Und entdecken Erstaunliches.

Pflanzen hängen am Leben, genauso wie wir. Vor Gefahren können sie nicht flüchten, ihren Feinden sind sie daher stärker ausgeliefert als Menschen oder Tiere. Wie aber wehren sie Fressattacken ab? Wie widerstehen sie Hitze und Kälte? Wie schützen sie ihre Oberfläche vor Pilzen und Bakterien? Wie halten sie andere Gewächse auf Distanz, die mit ihnen um Boden und Licht kämpfen? Wie locken sie Insekten für ihre Vermehrung an? Und wie unterbinden sie Zellfunktionen außerhalb der vorgesehenen Zellregulation, also Krebs?

Die Evolution hat vorgesorgt

Eine grüne Apotheke aus rund 70.000 Phytochemikalien versetzt Pflanzen in die Lage, ihre Vorhaben umzusetzen und natürliche Risiken selbst abzuwenden. Nach einer Infektion durch Bakterien oder Pilze zum Beispiel werden im befallenen Gewebe gezielt Kampfstoffe produziert, um die Ausbreitung zu verhindern. Phytoalexine wird diese Verbindungsgruppe genannt, in Anlehnung an das griechische Wort für abwehren, „alekein“. Ebenso interessant ist eine Wirkstoffgruppe zur Anpassung pflanzlicher Zellen an besonders belastende Umwelteinflüsse, die Adaptogene: Sie befähigen die Pflanze zum Widerstand – man kann sie mit jenen Hormonen vergleichen, die unsere Organe bei Tag und bei Nacht allen Erfordernissen anpassen, auch starkem Stress.

Pflanzen kämpfen mit Chemie

Je härter der Überlebenskampf der Pflanzen, umso intensiver und einfallsreicher müssen sie mit Risiken und Hemmnissen umgehen. Und umso mehr botanische Mittel entwickeln sie dafür, mit abwehrenden oder auch anpassenden Wirkungen. So enthalten etwa Weintrauben, die aus Regionen mit enormen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht stammen, besonders viele effektive Wirkmoleküle wie das Resveratrol, um dieser Herausforderung standzuhalten.

Überleben unter härtesten Bedingungen: Mit diesen Fähigkeiten beeindrucken beispielsweise Lepidium meyenii, die Heilpflanze Maca aus den peruanischen Anden; Panax ginseng, der Asiatische Ginseng; oder Eleutherococcus senticosus, die Taigawurzel.

Die Pflanze hat kein Gesicht, das Angst oder Schmerzen zeigt. Sie hat kein Gehirn und keine Nerven, die ihre Zellen untereinander verbinden – das macht die konzentrierte Abwehr von Bedrohungen besonders schwierig. Pflanzen besitzen keinen Verdauungsapparat und keine Drüsen, die Botenstoffe abgeben. Ihr scheinbares Manko gleicht jede Pflanze aber perfekt aus, indem sie genial konzipierte chemische Substanzen produziert. Und jede einzelne ihrer Zellen ist zur Erzeugung dieser Signalmoleküle fähig.

Pflanzliche Signalstoffe koordinieren die Entstehung von Wurzeln, Sprossen und Blättern, die Reifung von Samen und Früchten, und sie legen die Ruhezeiten der Pflanze fest. Weitere regulatorische Wirkungen werden von Alkoholen beigesteuert, die sich in den Pflanzen bilden, und von Säuren; auch Fette und Schwefelverbindungen erfüllen wichtige Aufgaben. Ergänzt wird die breite Palette an biochemischen Pflanzenmolekülen durch fettähnliche Substanzen, so genannte Lipide, unter denen die Klasse der Steroide herausragt. Aus all diesen bildet die Pflanze ihre Vitamine, Hormone, Säuren und Gifte. Indem diese Vitalstoffe innerhalb einer Pflanze erzeugt und von ihrem Entstehungsort zu einem bestimmten Wirkungsort transportiert werden, tauschen die Zellen Informationen aus – über Leitungsbahnen oder über den gasgefüllten Raum zwischen den Zellen.

Hormone bestimmen Leben und Tod

Hormone in der Pflanze formen die Gestalt, bestimmen das Geschlecht und die Befruchtungszeiträume, regeln die Produktion von Früchten. Auch die Lebenszeit und sogar der natürliche Tod der Pflanze werden hormonell festgelegt. Einzelne Pflanzenhormone regeln das Wachstum und die Entwicklung, stärkend wie hemmend, etwa Cytokine oder Auxine mit ihren bekanntesten Vertretern, den Indolen. Wichtige Wirkstoffklassen in den höher entwickelten Pflanzen sind auch die Polyphenole; diese Farbsubstanzen und Geschmacksstoffe schützen vor Fressfeinden und locken Insekten zur Bestäubung an. Eine große Gruppe von Blütenfarbstoffen nennt man Flavonoide, nach ihrer Entdeckung wurden sie zunächst als Vitamin P klassifiziert; bisher sind etwa 8.000 bekannt. Eine Untergruppe davon sind die intensiv rot, violett oder blau färbenden Anthocyane.

Duftstoffe warnen die Nachbarn

Mit duftenden Pheromonen informieren Pflanzen ihre Umgebung über Gefahr durch Fressfeinde, worauf ihre Nachbarn Tannine produzieren, um weniger gut zu schmecken. Phytoöstrogene heißen deshalb so, weil sie exakt auf Östrogenrezeptoren an der menschlichen Zelle passen und dort hormonell wirken, besonders die Isoflavone. Diese Phytoöstrogene senken die Fruchtbarkeit bei Tieren – eine Pflanze, die die Substanzen produziert, schützt sich zwar nicht selbst vor Fressfeinden, vermindert aber deren Population. Terpenoide wiederum geben Pflanzen ein besonderes Aroma; in der Pflanzenwelt reichlich vertreten sind auch Phytosterine als Bestandteile von Ölen und Fetten.

Alle diese Moleküle werden im Begriff „sekundäre Pflanzenstoffe“ zusammengefasst. Sie steuern jeweils bestimmte Vorgänge in der Pflanze. Das unterscheidet sie von den pflanzlichen Grundstoffen, die vor allem Wachstum ermöglichen, zum Beispiel, indem sie Licht in Energie umwandeln und als Zucker speichern. Gut für uns: Die sekundären Pflanzenstoffe entfalten nicht nur in der Pflanze, sondern auch im menschlichen Körper erstaunliche Wirkung.

1.2
Geniale Nahrung:
Was wir essen, schützt und steuert uns

Die Nahrung der Urzeit trug alles in sich. Was für das Arbeiten der Organe und die Steuerung unserer Lebensfunktionen gebraucht wurde, steckte in denselben Früchten, Beeren, Samen, Blättern und Wurzeln, die den Hunger stillten.

Mit jedem Bissen sicherten sich unsere Vorfahren die Versorgung mit Energie und rüsteten sich gleichzeitig für alle Herausforderungen des Daseins. Kraft und Schutz, beides wurde aus der Nahrung bezogen. Denn neben den Stoffen mit Nährwert bilden andere Substanzen einen unverzichtbaren Bestandteil unserer Ernährung: pflanzliche Moleküle mit Signalfunktion für die Vorgänge im Körper.

Die Natur verschwendet nichts

Die Bedeutung der Pflanzenprävention für uns Menschen wird uns erst jetzt in vollem Umfang bewusst. Das Geniale daran: Die wichtigsten Vitaleffekte für unsere Organe und inneren Uhren hat die Evolution genau in jene Pflanzen verpackt, die unsere Vorfahren ohnedies verzehrten. Dadurch wurden nur jene Individuen mit Hormonen, Botenstoffen und weiteren Signalmolekülen versorgt, die sich regelmäßig ernährten. Und nur sie konnten sich fortpflanzen: Im Laufe einer Schwangerschaft benötigt ein weiblicher Organismus immerhin etwa 180.000 Kalorien. So wurde eine Vergeudung wertvoller Phytostoffe vermieden.

Diese Phytostoffe funktionieren auf die gleiche Weise in den Zellen der Pflanzen wie in jenen der Tiere und in den geschätzten 70.000 bis 100.000 Milliarden menschlichen Zellen. Einmal entwickelt und perfektioniert, wurde das botanische Arsenal multifunktionell eingesetzt.

Hundert Mal wirkungsvoller als Vitamine

Einzelne Pflanzenarten sind echte Stars in den Volksmedizinen. Wir nennen sie Heilpflanzen, denn sie produzieren sekundäre Pflanzenstoffe von außergewöhnlicher Intensität. Ihre Wirkungen können jene der 13 klassischen Vitamine, die wir mit den Buchstaben A bis K bezeichnen, um mehr als das Hundertfache übertreffen.

Botenstoffe und Hormone scheinen von diesen Signalmolekülen die bedeutendsten zu sein. Ihre wichtigste Gruppe nennt man Phytohormone: Es sind in kleinsten Mengen wirksame Substanzen. Viele von ihnen arbeiten in einer Zweierbeziehung, vergleichbar unseren Muskelpaaren – die eine verstärkt einen Impuls, die andere schwächt ihn ab. Nicht die jeweilige Konzentration entscheidet dabei über die Wirkung, sondern das Mengenverhältnis dieser Pflanzenstoffe zueinander, in jeder einzelnen Pflanzenzelle ebenso wie in unserem Körper.

Dabei ist es kein Zufall, dass all diese Pflanzenbestandteile einst ein Teil der menschlichen Ur-Nahrung gewesen sind. Dank gezielter Forschung wissen wir seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts: Das organisatorische Regelwerk der Pflanze entspricht exakt dem Zusammenwirken unserer eigenen Hormone für Wachstum, Sexualität und Muskelaufbau. Auch im menschlichen Körper – und ebenso in jedem Tier – steuern solche Substanzen in kaum messbarer Dosierung die Arbeit der Organe. Die Moleküle, die wir für die umfangreiche Kommunikationsleistung unserer inneren Uhren brauchen, können wir bis auf wenige Ausnahmen nicht selbst erzeugen. Sogar Steroide, jene Stoffe, die uns am stärksten als Menschen prägen, bilden wir aus botanischen Bestandteilen.

1.3
Die Kraft aus der Erde:
Hier entsteht das Leben

Gesunde Erde ist Lebensraum für Milliarden Mikroorganismen, sie ist Ausgangspunkt unserer Nahrungskette, sie filtert unser Wasser und speichert sogar Wirkstoffe, die uns heilen.

Ein Blatt fällt zu Boden, Würmer und Termiten zerlegen es in seine Moleküle, die als Nährstoffe mit der Hilfe von Mikroben und Pilzen in den pflanzlichen Kreislauf zurückkehren. Dass ein Gewächs mit seinem Untergrund verwurzelt ist und deshalb vor Gefahren nicht fliehen kann, liegt in seiner Natur, ist jedoch insgesamt kein Nachteil: Auf diese Weise profitiert jede Pflanze von der Artenvielfalt im Erdreich und von den dort immer wieder neu entstehenden Wirkstoffen.

SO BRINGT DER BURGENLÄNDISCHE „PARADEISERKAISER“ ERICH STEKOVICS ALTE TOMATENSORTEN ZU HÖCHSTLEISTUNGEN: SOBALD ER DIE TOMATENPFLANZE NICHT WÄSSERT, TREIBT SIE IHRE WURZELN ZWEI METER UND TIEFER IN DEN BODEN. DAS AUSGEWACHSENE WURZELWERK KANN BIS ZU 22 KILOGRAMM WIEGEN. SENSATIONELL: FAST 500 CHEMISCHE SUBSTANZEN NIMMT DIE PFLANZE DAMIT AUS DER ERDE AUF, DARUNTER DAS „GLÜCKSHORMON“ SEROTONIN.1

Jeder dritte bekannte lebende Organismus hat seine Existenz unter unseren Füßen: Bakterien, Parasiten, Termiten, Milben. Es ist schwer vorstellbar, aber Wissenschaftler meinen, dass ein einziger Teelöffel voll Erde Milliarden Kleinstlebewesen tausender unterschiedlicher Arten enthalten kann. Wie sie alle miteinander agieren und voneinander abhängen, wird für uns noch lange ein Mysterium bleiben. Es scheint wie eine hochintelligent geplante Fabrik zur Herstellung wertvollster Substanzen, in der alle ihre Aufgaben haben – Mikroorganismen ebenso wie Würmer, Maulwürfe und Erdhörnchen.

Die Artenvielfalt der Erde, Biodiversität genannt, wurde in den Abermillionen Jahren ihrer Existenz mehrmals von der Auslöschung bedroht. Der allergrößte Teil konnte sich jedoch bis heute erhalten. Am ausgeprägtesten ist die Biodiversität in niedrigen Höhenlagen und in den warmen Gewässern des Westpazifiks.

Abfall wird zu Humus

Das Ökosystem wandelt organischen Abfall in Erde um. Dieses Produkt filtert das Wasser, das wir trinken, es hält Krankheitskeime zurück und nimmt Staub aus der Luft auf. Bereits 2005 ging man davon aus, dass fünf Prozent der globalen Erdmasse durch Landwirtschaft und Urbanisation weitgehend biologisch zerstört sind. Agrikultur setzt das Erdreich der Trockenheit aus, entzieht ihm wertvolle Substanzen und fügt ihm Pestizide, Pflanzenschutzmittel und andere Chemikalien bei. Belastungen wie saurer Regen in den siebziger Jahren wirken jahrzehntelang nach.

Erde ist die Basis der „grünen Apotheke“. Durch die Lebensform der Pflanzen sind beide Welten, über Grund und unter Grund, miteinander verbunden.

Einzelne Arten mit wichtigen Funktionen für unsere Gesundheit sind möglicherweise schon lange ausgelöscht. Dabei ist für den Menschen kaum etwas so existenziell wichtig wie das Erdreich: Hier beginnt die Nahrungskette. In ungestörter Natur gedeihen die Pflanzen, deren Früchte, Blätter und Samen von Tieren gefressen werden, die ihrerseits Nahrung für Raubtiere darstellen.

Gesunde Erde erspart den Menschen jene Infektionen, die entstehen, wenn ausgetrocknete Erde Pilzsporen freigibt und wir sie mit der Luft einatmen. Cholera, eine spezielle Gehirnentzündung und andere Leiden stammen von Erregern, die einen Teil ihres Lebenszyklus im Erdreich verbringen und nur im Idealfall dort wieder vernichtet werden.

Heilung unter unseren Füßen

Gesunde Erde speichert sogar Wirkstoffe, die uns heilen können. Pilze und Bakterien erzeugen Stoffwechselprodukte, die schon in geringer Konzentration das Wachstum von anderen Mikroorganismen hemmen oder abtöten. Damit halten sich diese Kleinstlebewesen wechselseitig unter Kontrolle. Solche anti-mikrobiellen Moleküle sind die Grundlage der meisten Antibiotika, die wir heute verwenden – Penicillin beispielsweise stammt von einem Schimmelpilz. Laufend forscht die Wissenschaft auch im Erdreich nach neuen Wirkstoffen, mit denen sie der Gesundheitsgefährdung durch Bakterien begegnen könnte.

Zwar erzwingt verseuchte, belastete Erde die Produktion von Schutzstoffen in den Pflanzen – so wie es Sonnenglut, Nachtfrost oder Krankheitserreger überirdisch tun. Andererseits gilt: Je gesünder die Erde, umso mehr Phytochemikalien kann die Pflanze aufnehmen, speichern und an den, der sie isst, weitergeben.

1.4
Uraltes Wissen:
Wann die Pflanzenheilkunde begann

Wenn es um die Geheimnisse der Natur geht, sind Pflanzen unsere besten Lehrer. Ohne das Wissen, das wir aus ihnen gewonnen haben, wäre unsere Geschichte des Heilens anders verlaufen.

Den wertvollsten Substanzen des Lebens geben wir heute aus dem Altgriechischen und Lateinischen abgeleitete Namen. Sie klingen, als seien sie nur für uns erdacht worden: Vitamine, Enzyme, Hormone, Aminosäuren, Flavonoide. Dabei sind es die genau gleichen Wirkstoffe, auf die jede Pflanze und jedes Tier angewiesen ist.

Mehr und mehr botanischen Molekülen können wir erstaunliche Fähigkeiten in ihrer ursprünglichen Welt zuordnen. Phytoalexine bilden den harten Kern der grünen Apotheke gegen Bakterien und Pilzbefall. Alkaloide attackieren das Nervensystem von Pflanzenfressern. Toxine wehren Aggressoren ab. Allelochemikalien verdrängen unerwünschte Gewächse aus der Nachbarschaft. Pheromone – also Düfte – und Farbstoffe locken zur Bestäubung. Pigmente speichern die Energie aus dem Sonnenlicht und schützen gleichzeitig vor übermäßiger Strahlung.

Forschung entlang des Path Way

Eine besondere Gruppe von Phytostoffen konzentriert sich auf das Verhindern von Faktoren, die eine Krebs erzeugende Wirkung begünstigen. Jeder Prozess der Umwandlung einer gesunden Zelle in eine kranke zeigt eine Schritt-für-Schritt-Entwicklung, von Wissenschaftlern „Path Way“ genannt. Daran sind viele Mechanismen beteiligt. Der Fokus der modernen Forschung liegt auf den einzelnen Schritten entlang der innerzellulären Signalwege; dort stört eine ganze Reihe von botanischen Chemikalien an unterschiedlichen Punkten die karzinogenen Aktivitäten. Der Nachweis dieser Mechanismen wurde durch die epidemiologische Beobachtung großer Bevölkerungsgruppen gewonnen und in Laborversuchen bestätigt.

Dass die Pflanze ihre eigene Chemotherapie entwickelt, ist keine Überraschung. Es entspricht den Prinzipien, die sie zum Meister der Prävention machen: Keinem Aggressor, keinem Widersacher wird die Durchsetzung seiner Absicht leicht gemacht. Dabei variieren die intelligenten Pflanzen die Produktion der jeweiligen Substanzen exakt entsprechend den aktuellen Bedingungen. Reichen normale Maßnahmen nicht aus, helfen sich manche Gewächse auch mal durch eine List. Zum Beispiel werden als Abwehr jener Kriechtiere, die sich über das saftige Grün hermachen wollen, genau deren natürliche Feinde angelockt und gegen sie aktiviert.

Magie, Religion, Medizin

Die Kunst der Heilkunde ist so alt wie die Menschheit. Von Beginn an suchte der Mensch nach Hilfen, um Schmerz, Krankheit und Tod abzuwehren. Eine Art Ur-Medizin enstand: Ihr lag die Vorstellung zugrunde, dass höhere Wesen für das Gute wie für das Böse verantwortlich sind. Das primitive Weltbild unterschied nicht zwischen Magie, Religion und Medizin; der Glaube an lebende Geister mit therapeutischen Fähigkeiten in den einzelnen Pflanzen war weitverbreitet. Das Vertrauen in geheimnisvolle Pflanzenkräfte könnte auch durch die Beobachtung von Tieren genährt worden sein: So suchen etwa herrenlose Hunde, wenn sie krank sind, die Selbstheilung durch bitter schmeckende Kräuter, die sie sonst nicht fressen würden. Wann aber sollen wir die Geburtsstunde der Phytotherapie ansetzen?

Warum spielte bei Begräbnisritualen viertausend Generationen vor uns die Beigabe von Pflanzen eine Rolle? Vermutet wird, dass für jedes wichtige Organ bestimmte pharmakologische Effekte gewählt wurden, die den Toten auf seiner Reise in eine andere Welt stärken sollten.

Der Einsatz von Phytostoffen als Medizin eilte der schriftlichen Überlieferung weit voraus. Im Grab eines vor mehr als 60.000 Jahren bestatteten Neandertalers identifizierten Paläontologen den Blütenstaub und die Pollen von acht verschiedenen Kräutern – sieben von ihnen werden heute noch in der Volksmedizin angewendet. Die bekanntesten sind der Echte Eibisch, ein Mittel gegen Erkältungen; die als Gewürz und Arzneipflanze eingesetzte Schafgarbe; das Alkaloid-haltige Greiskraut; die Kornblume, die eine Wunde am Fuß des Achilles geheilt haben soll; das aufputschende Ephedra, das als das älteste Medikament der Welt bezeichnet wird, da es in der chinesischen Medizin seit mehr als zwei Jahrtausenden Verwendung findet; und die Traubenhyazinthe.

1.5
Wissenschaftlich erfasst:
Pflanzenstoffe, die für uns wirken

Phytotherapie, Herbalismus oder Pflanzenmedizin: Das reiche Wissen der alten Völker lässt sich aus Überlieferungen erahnen. Die moderne Medizin entwickelte es in ihre Richtung weiter. Ein Viertel der Medikamente, die heute ärztlich verordnet werden, stammte ursprünglich aus Pflanzen.

In Pfahlbauten der Neusteinzeit fand man Hinweise auf mehr als zweihundert unterschiedliche Pflanzen. Über ihre gesamte Geschichte hinweg sammelten oder kultivierten die Menschen botanische Gewächse mit pharmazeutischen Effekten: den Schlafmohn, der in der Antike als Schlafmittel verwendet wurde; den Zwergholunder mit seinen Bitterstoffen; den Erdrauch, das Gallenmittel der Volksmedizin; das verdauungsfördernde Echte Eisenkraut; das Gewöhnliche Seifenkraut mit Potenzial bei Kopfschmerz und Augenleiden; den wurmtreibenden Bitterklee.

Der als Gletschermumie berühmte „Ötzi“, der Mann vom Hauslabjoch, trug vor mehr als 5.300 Jahren zwei Exemplare des Birkenporlings bei sich. Die antibakteriellen und antibiotischen Wirkungen dieses Heilpilzes sollten vermutlich seinem wurmbefallenen Verdauungstrakt zugute kommen.

Im vierten bis dritten Jahrtausend vor der modernen Zeitrechnung entwickelten sich erste Formen der schriftlichen Überlieferung. Es begann mit Piktogrammen: Die Sumerer im südlichen Mesopotamien ritzten mit Schilfrohr keilförmige Zeichen in Tontafeln. So wurden zum Beispiel Anleitungen zum Stillen schwerer Blutungen mit botanischen Stoffen von Generation zu Generation weitergegeben. Im dritten Jahrtausend vor Christus teilte der chinesische Kaiser Shen Nung 365 Heilpflanzen in fünf Kategorien ein, von „besonders wirksam“ bis „hochgiftig“. Es folgten schriftliche Überlieferungen der Ägypter, und im ersten Jahrtausend vor Christi Geburt beschrieben indische Heiler in sechs Ayurveda-Werken detailliert die medizinische Bedeutung von mehr als dreihundert Pflanzenarten: die Summe aller Erfahrungen mit den Pflanzen ihrer Volksmedizin.

Dieses Wissen der alten Völker war so vielfältig wie die Namen, die später dafür gewählt wurden: Phytotherapie, Herbalismus (nach „herba“, lateinisch für Pflanze), Pflanzenmedizin oder Pharmakognosie (in der Bedeutung von „pharmazeutische Biologie“).

Die Vitamine werden entdeckt

Hippokrates beschrieb im vierten Jahrhundert vor Christus erstmals eine Krankheit, die durch den Mangel an Früchten und Gemüsen entsteht und vermutlich schon in prähistorischen Zeiten auftrat – der Skorbut. Später, im Zeitalter der Entdeckungsfahrten per Schiff, wurde er zum größten beschränkenden Faktor: Kein Seemann, kein Pirat konnte länger an Bord bleiben, als die Lagerfähigkeit von Obst und Gemüse andauerte. 1753 erkannte der Schiffsarzt James Lind, dass eine Substanz in Zitrusfrüchten die schweren Blutungen und den Energieverlust durch Skorbut verhindern konnte. So entstand die Idee von bestimmten Wachstumsfaktoren in der Nahrung. Aber die Admiralität opferte mehr als hunderttausend weitere Seeleute, während ein niederländischer und ein weiterer britischer Arzt in Versuchen mit Tieren – durch Verschlechterung und Verbesserung ihrer Ernährung – sich langsam der Wahrheit näherten.

In ähnlicher Weise wütete eine Krankheit in Asien. Sie wurde mit dem singalesischen Wort für Schwäche, „beri“, bezeichnet: Beriberi. Experimente mit geschältem und mit naturbelassenem Reis enthüllten schließlich im Jahr 1905 eigenartige Ammoniakabkömmlinge, so genannte Amine, in der Schale. Wegen ihrer essenziellen Bedeutung kombinierte man diesen Namen mit dem lateinischen Wort „vita“ für Leben, und nannte sie – Vitamine.

1913 isolierten Wissenschaftler der Yale University einen ersten solchen Wachstumsfaktor aus der Butter und kennzeichneten ihn mit dem Buchstaben A. Es folgten B-Vitamine aus der Beriberi-Forschung, dann die Isolierung der im Kampf gegen Skorbut bereits Jahrhunderte zuvor entdeckten Ascorbinsäure. Dieses Vitamin mit dem Zusatz C wurde 1934 als erstes durch Synthese künstlich hergestellt. Schließlich begriff man auch, dass einige Vitamine einander sehr ähneln – zum Beispiel jene der Gruppe B – und dass sie gemeinsam besser wirken.

Einzelne Substanzen herauslösen

Im Jahre 1804 konnte aus dem eingedickten Milchsaft des Schlafmohns eine basische Verbindung isoliert werden. Wegen ihrer betäubenden Wirkung wurde sie nach dem griechischen Gott der Träume, Morpheus, benannt: Morphin. Diese erste Droge der Medizingeschichte leitete zu der Auffassung über, dass nicht eine ganze Armee lebendiger Pflanzenkräfte bestimmte Rezeptoren in unserem Körper ansteuert, sondern dass es jeweils eine einzelne Substanz ist, die – wie als mechanische Reaktion – eine ganz spezielle Wirkung entfaltet.

Dieses Denkmodell gibt es noch heute. Für gewöhnlich verwenden Pharmahersteller nur einen einzigen isolierten Stoff. Begründet wird dies unter anderem mit der Vereinfachung einer Dosierung. Aber auch der Umstand, dass nur einzelne Komponenten patentiert werden können, nicht aber ein Extrakt, spielt eine Rolle.

Die ganze Matrix nützen