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Christian Köberl • Alwin Schönberger

ACHTUNG STEINSCHLAG

Asteroiden und Meteoriten:

Tödliche Gefahr und Wiege des Lebens

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INHALT

EINLEITUNG

Von Asteroiden, Kratern und Katastrophen: Was Sie in diesem Buch erwartet. Ein kleiner Reiseführer durch die Welt der Meteoriten, die manchmal auch ihr charmantes Antlitz zeigen.

WENN GOTT MIT STEINEN WIRFT

Zu allen Zeiten beobachteten die Menschen furchterregende Feuerbälle am Firmament und Felsbrocken, die wie aus dem Nichts herabstürzten – und sahen darin Zeichen für den Zorn der Götter. Die Gelehrten stritten darüber, ob tatsächlich außerirdische Materie die Erde treffen kann.

DAS VERSTECKSPIEL DER KRATER

Können wirklich gigantische Felsbrocken aus dem All die Erde treffen und kilometergroße Löcher reißen? Lange zweifelten die Experten vehement daran. Doch dann opferte ein Mann sein Leben der Erforschung eines Meteoriteneinschlages.

TAGEBUCH EINER KATASTROPHE

Was geschieht im Detail, wenn ein Meteorit die Erde trifft? Wie entsteht eigentlich ein Krater? Und woran erkennt man, dass ein außerirdischer Felsbrocken die Ursache dafür ist? Eine kleine Impaktkunde.

BOMBENSTIMMUNG

Die Geschichte des Sonnensystems ist eine Geschichte dramatischer Kollisionen. Seit der Stunde Null herrscht unentwegt Massenkarambolage. Warum wir ohne Zusammenstöße gar nicht existieren könnten – und weshalb Meteoriten der älteste und wichtigste Baustoff unserer Welt sind.

DER SCHATZ IM KRATERSEE

Wie kann man nach Millionen von Jahren rekonstruieren, was sich im Moment eines Meteoriteneinschlags abgespielt hat? Mit modernster Analysetechnik bei der Untersuchung von Kratern. Dabei lassen sich Forscher auf Abenteuer in den Tropen oder in arktischen Eiswüsten ein - und stoßen manchmal an ihre Grenzen.

DER WELTENBRAND

Was geschieht, wenn ein Monster-Asteroid die Erde trifft? In einem Fall kennen wir die Folgen: Ein Geschoss, größer als der Mount Everest, ließ den Planeten erzittern und verursachte ein globales Massensterben. Über den Tag, an dem der Dino-Killer einschlug.

SCHOCKTHERAPIE

Meteoriten haben auch ihre freundlichen Seiten: Sie können komfortable Behausungen für die Tierwelt schaffen und wertvolle Rohstoffe wie Gold und Erdöl produzieren. Haben Einschläge sogar das Leben auf die Erde gebracht?

DER NOTFALLPLAN

Können wir uns wehren, wenn ein Asteroid Kurs auf die Erde nimmt? Haben wir eine Chance, die Katastrophe abzuwenden? Ja, wir können uns retten. Allerdings wäre es sinnvoll, den Ernstfall bald zu üben.

ANMERKUNGEN

LITERATUR

EINLEITUNG

Von Asteroiden, Kratern und Katastrophen: Was Sie in diesem Buch erwartet. Ein kleiner Reiseführer durch die Welt der Meteoriten, die manchmal auch ihr charmantes Antlitz zeigen.

Meteoriten haben durchaus ihre freundlichen Seiten. Diese offenbaren sich vorzugsweise dann, wenn sich Hersteller erlesener Gaumenfreuden von Geschossen aus dem Weltall inspirieren lassen. Wer in der malerischen deutschen Kleinstadt Nördlingen zu Gast ist, kann seinen Besuch mit einem Schluck Gin der Marke „Krater Noster“ krönen, am besten nach dem Genuss eines gepflegten Glases Kraterbier, Geschmacksrichtung „riesisch herb“. Die Bezeichnung ist eine Anspielung auf die Region, in der die Getränke kredenzt werden: das Nördlinger Ries, eine annähernd runde und fast 25 Kilometer durchmessende Senke in Bayern.

Was sich hier vor 15 Millionen Jahren abspielte, unterstreicht eindrucksvoll die weniger gemütlichen Seiten von Meteoriten. Damals war die Gegend Schauplatz einer Naturkatastrophe, die jede menschliche Vorstellungskraft sprengt. Ein Asteroid von zirka einem Kilometer Durchmesser krachte mit der Wucht tausender Atombomben herab, hinterließ Verwüstungen in katastrophalen Dimensionen, löschte alles Leben in weitem Umkreis aus und riss einen Krater, der heute als Nördlinger Ries bekannt ist – und den Menschen aus Deutschland oder Österreich sogar leicht besichtigen können. Die Reise zahlt sich allemal aus: Ein Kratermuseum informiert multimedial über das Inferno, das sich hier zutrug, Lehrpfade führen an Plätze, die davon zeugen, wie der Crash Gestein zerrüttete und zermalmte, als wäre es aus Pappe. Vereinzelt steht man vor mächtigen Felsen, die durch den Einschlag des außerirdischen Brockens kilometerweit durch die Landschaft geschleudert wurden wie Kieselsteinchen.

Immer wieder wurde unser Planet aus dem Kosmos bombardiert, genau wie alle anderen Himmelskörper unseres Sonnensystems, ob Merkur, Mars oder Mond. Doch während letztere von gut sichtbaren Narben übersät sind und buchstäblich Kraterlandschaften darstellen, sind Überreste des Hagels aus dem All auf der Erde viel schwerer zu entdecken. Knapp 200 Einschlags- oder Impaktkrater rund um den Globus ließen sich bislang nachweisen. Das Aufspüren dieser Strukturen bedeutete eine enorme Herausforderung, weil Wetter, Erosion und Vegetation an den Kratern nagen, sie allmählich zersetzen, abtragen und überwuchern. Aus diesem Grund hielten Gelehrte es lange Zeit für unwahrscheinlich, dass die Erde überhaupt je zur Zielscheibe für Asteroiden oder Kometen werden könnte. So verblüffend es klingt: Die Erkenntnis, dass Meteoriten – so heißen Asteroiden, sobald sie den Erdboden berühren – auf unserem Planeten gewaltige, manchmal hunderte Kilometer große Krater schlagen, ist erstaunlich jung. Und sie ist mit der tragischen Geschichte eines hartnäckigen, geradezu starrköpfigen Pioniers verbunden, der wir uns im ersten Teil dieses Buches ausführlich widmen werden.

Heute wissen wir dank intensiver Forschung, dass unser Planet von Anbeginn vor rund viereinhalb Milliarden Jahren regelmäßig durchs All sausenden Asteroiden in die Quere kam – jener urtümlichen Materie, die quasi Bauschutt aus der Konstruktionsphase des Sonnensystems ist und deren Analyse spannende Einblicke in die Frühzeit der Himmelskörper bietet sowie ein Fenster in eine ferne Vergangenheit öffnet. Für Wissenschaftler sind Asteroiden, Meteoriten und Krater deshalb faszinierende Studienobjekte, die viel über die Rätsel des Universums verraten.

Den meisten Menschen sind diese Brocken aus Gestein oder Metall jedoch vor allem als tödliche Gefahr geläufig. Und tatsächlich bedarf es keiner Hollywood-Blockbuster, um ein Bedrohungsszenario heraufzubeschwören. Was uns Actionfilme mit allen Mitteln der Kinokunst vor Augen führen, geschah in der Realität unzählige Male: in Südafrika und Kanada vor ungefähr zwei Milliarden Jahren, in Mexiko vor 66 Millionen Jahren. Dort ging der wohl berühmteste Asteroid der Geschichte nieder: jener Himmelskörper, der die Dinosaurier vernichtete – und mit ihnen die Mehrzahl aller damals die Erde bevölkernden Spezies. Dieser Einschlag demonstriert auf drastische Weise, was Meteoritentreffer anrichten können: Die Erde bebte, Tsunamis brachen los, Wälder rund um den Globus standen in Flammen, Ruß und andere Substanzen verdunkelten die Sonne, die Temperaturen fielen. Es wurde finster und kalt auf dem Planeten, das Klima spielte verrückt, die Nahrungskette kollabierte, die Tiere verendeten. Es folgte ein Massenaussterben.

Die große Frage lautet natürlich: Kann es wieder passieren? Die Antwort ist ebenso eindeutig wie beunruhigend: Es kann nicht nur neuerlich geschehen, es wird geschehen. Ungewiss ist lediglich: Wann wird es sich zutragen, und wie verheerend werden die Konsequenzen sein? Wir wissen es nicht, doch ohne Zweifel sind wir von kosmischen Geschossen förmlich umzingelt. Dank sorgfältiger Überwachung des Himmels mit modernen Instrumenten kennen wir zurzeit rund 17.000 erdnahe Objekte: Asteroiden verschiedenster Größen, deren Bahnen immer wieder bedenklich nahe an unseren Planeten heranreichen – und sich theoretisch eines Tages mit jener der Erde kreuzen könnten, was eine Kollision bedeuten würde. Mit anderen Worten: Da draußen im All, in unmittelbarer Nachbarschaft, flitzt eine unüberschaubare Zahl von Gesteinsbrocken umher, es herrscht ein dichtes Gedränge von Asteroiden, die unseren Planeten einhüllen wie eine Wolke.

Zum Glück kann die Wissenschaft aufgrund zuverlässiger Berechnungen heute recht genau prognostizieren, dass jedenfalls in absehbarer Zeit kein massiver Zusammenstoß droht, schon gar keiner mit einem Vertreter jener Gewichtsklasse, der den Sauriern ein unerquickliches Ende bereitete. Kleinere Objekte fliegen allerdings unablässig in geringer Distanz vorbei, bisweilen im Monatstakt und so nahe, dass man ihnen, salopp ausgedrückt, beinahe zuwinken könnte. Mitte Oktober 2017 zum Beispiel zog der Asteroid „2012 TC4“ an uns vorbei, und zwar in einer Entfernung von gerade etwas mehr als 40.000 Kilometern. Das entspricht etwa einem Zehntel des Abstandes zum Mond und war empfindlich knapp an Satelliten, die in 36.000 Kilometer Höhe positioniert sind. Bemerkenswert ist, dass die genaue Bahn des ungefähr 50.000 Stundenkilometer schnellen Besuchers aus dem All nicht vor dem Sommer 2017 bekannt war – trotz der präzisen Technik weiß man manchmal erst sehr spät, ob die Sache eng wird.

Der Brocken war zwar maximal 30 Meter groß und hätte wohl nicht einmal den Erdboden erreicht, sondern wäre stattdessen in der Erdatmosphäre explodiert. Trotzdem können solche Ereignisse erheblichen Schaden anrichten. Ein kosmisches Objekt vergleichbarer Dimension detonierte 2013 in der Atmosphäre über Russland. Ein greller Feuerball raste über den Himmel, und in der Stadt Tscheljabinsk barsten tausende Fensterscheiben, Mauern stürzten ein, Menschen wurden verletzt. Der Fall zeigt: Asteroidenbruchstücke können selbst dann eine ernsthafte Gefahr darstellen, wenn sie es nicht mal bis zum Boden schaffen. Solche Zwischenfälle tragen sich deutlich öfter zu als wirklich große Einschläge.

Wir kommen sogar täglich mit Materie aus dem Kosmos in Berührung. Dabei droht allerdings keinerlei Gefahr, und wir können die Fremdkörper kaum sehen. Denn es handelt sich um Mikrometeoriten – um Staub, der aus dem Weltall herabrieselt. Forscher gehen davon aus, dass Tag für Tag ungefähr 100 Tonnen solcher Partikel auf unseren Planeten regnen. Wenn Sie das nächste Mal Staub wischen, vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie dabei auch ein paar Körnchen in Händen halten, die vielleicht seit Beginn des Sonnensystems existieren.

Man darf also ohne jede Übertreibung behaupten: Asteroiden und Meteoriten sind höchst faszinierende Objekte. Sie können uns einen leichten Schauder über den Rücken jagen, weil sie ein diffuses Risiko darstellen, dem wir nach wie vor weitgehend hilflos ausgeliefert sind – wenngleich wir uns nicht davor ängstigen müssen, dass uns morgen der Himmel auf den Kopf fällt. Die archaischen Himmelskörper versprechen gleichzeitig tiefe Einsichten in die Entstehungsgeschichte des Universums. Der irritierendste Umstand ist vielleicht, dass sie ein wenig an Dr. Jekyll & Mr. Hyde erinnern: Denn sie können die Apokalypse auf die Erde bringen, umgekehrt aber auch Quelle neuen Lebens sein. In einem Abschnitt dieses Buches werden wir dieses Phänomen eingehend beleuchten: Krater können eine Art Biotop erzeugen, eine Oase für winzige Organismen, die womöglich ein Sprungbrett für die Entwicklung höherer Lebensformen bietet. Es ist sogar denkbar, dass an Bord von Asteroiden organische Moleküle durchs Weltall reisen – und die Erde bereits in grauer Vorzeit mit Leben infizierten. Selbst für die Wirtschaft sind Meteoritenkrater attraktiv: als Rohstoffquellen, die sich anzapfen lassen, um Edelmetalle wie Gold oder Bodenschätze wie Erdöl zu gewinnen. Im hinteren Abschnitt dieses Buches werden wir uns diesen meist wenig beachteten ökonomischen Aspekten zuwenden.

Kurzum: Asteroiden, Meteoriten und die Krater, die sie schlagen, sind dermaßen spannend und vielfältig, entwickeln so destruktive wie konstruktive Effekte, dass wir uns auf den folgenden 200 Seiten mit all ihrem Facettenreichtum befassen wollen. Wir werden Wissenschaftler bei Expeditionen in exotische und entlegene Winkel unseres Planeten begleiten, ins tropisch heiße Ghana ebenso wie ins klirrend kalte Sibirien. Unter enormen Strapazen hefteten sich die Forscher dort auf die Spuren von Impakten und versuchten zu ergründen, wann ein Geschoss welcher Größe und mit welchem Tempo herabdonnerte, welche Zerstörung in welchem Umkreis entstand – und welche Lehren wir daraus ziehen können. Wir werden beschreiben, wie Experten heute mit modernster Analytik herausfinden, woraus die Himmelskörper bestehen, wie alt sie sind, welche Energie sie beim Einschlag freisetzten und welche verräterischen Spuren sie in irdischem Gestein hinterlassen. Wir werden tief ins Innere von Kratern vordringen und enthüllen, was sie uns über die Katastrophen erzählen können, die einst den Planeten heimsuchten. Viele der Studien beruhen zu wesentlichen Teilen auf der Arbeit und den Methoden von Christian Köberl, dem Erstautor dieses Buches, die Untersuchung zahlreicher Krater maßgeblich auf seine Forschungen sowie jene seiner Kollegen und Weggefährten zurück. In aller Bescheidenheit dürfen wir daher sagen: Die Informationen in diesem Buch stammen ganz im Wortsinn aus erster Hand.

Vor allem wollen wir eine Vielzahl von Fragen beantworten, die wahrscheinlich jedem in den Sinn kommen, wenn das Stichwort Meteoriten fällt: Was ist ein Meteorit überhaupt, woraus besteht er, und weshalb kommt es zu Einschlägen auf der Erde? Wie entsteht ein Meteoritenkrater, und wie kann man ihn erkennen? Wie groß ist die Gefahr, dass einer dieser Himmelskörper auf die Erde stürzt? Wann müssen wir das nächste Mal damit rechnen? Was hat es mit der Geschichte vom legendären Dino-Killer wirklich auf sich? Und nicht zuletzt: Können wir etwas dagegen unternehmen, wenn einer dieser kosmischen Felsbrocken Kurs auf die Erde nimmt? Sollen wir tatsächlich dem Hollywood-Prinzip folgen und Asteroiden in die Luft sprengen? Oder ist es klüger, sie abzuschleppen? Und warum fliehen Asteroiden, wenn man sie zur Hälfte weiß anmalt?

Zu Beginn unserer Reise befassen wir uns jedoch mit der Geschichte der Meteoritenforschung. Denn die längste Zeit konnten die Menschen einfach nicht glauben, dass Steine wie aus dem Nichts vom Himmel fallen – und sahen darin ein Zeichen für den Zorn Gottes.

WENN GOTT MIT STEINEN WIRFT

Zu allen Zeiten beobachteten die Menschen furchterregende Feuerbälle am Firmament und Felsbrocken, die wie aus dem Nichts herabstürzten – sie sahen darin ein Zeichen für den Zorn der Götter. Die Gelehrten stritten darüber, ob tatsächlich außerirdische Materie die Erde treffen kann.

Das scheinbar Unmögliche geschah am 20. November 1768 gegen vier Uhr nachmittags. Aufgeschreckt von einem unheimlichen Grollen in der Luft, sahen mehrere Menschen im oberösterreichischen Mauerkirchen zum Himmel empor. Die Augenzeugen, die ihre Beobachtungen später unter Eid zu Protokoll gaben, blickten Richtung Westen und verfolgten ein beängstigendes Schauspiel am Firmament: Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, es ertönte ein eigentümliches, bedrohliches Brausen, dann ein gewaltiges Krachen, ähnlich Donnerschlägen oder den Schüssen aus einer mächtigen Flinte. Gleich darauf fiel wie aus dem Nichts ein Stein zu Boden und knallte direkt aufs Feld eines Herren namens Georg Bart.

Eine Vermessung des Brockens sowie des Lochs, das er geschlagen hatte, ergab anschließend, wie ein anonymer Chronist penibel über „das Wunder“ festhielt: „Dieser Stein machte, nach obrigkeitlichem Augenschein, eine Grube von 2 ½ Schuh tief in der Erde. Er hält nicht gar einen Schuh in der Länge, ist 6 Zoll breit und wiegt 38 Baierische Pfunde.“ Auch die Beschaffenheit des seltsamen Geschosses wurde sorgfältig geprüft: Der Stein sei „von einer so weichen Materie, dass er mit den Fingern sich zerreiben lässt.“ Im Inneren seien weiße Linien auszumachen, „außenher aber ist er mit einer schwarzen Rinde überzogen.“

In aktuellen Maßeinheiten ausgedrückt, wog der Stein, der auf damals noch bayrischem Hoheitsgebiet niederging, 21,3 Kilo. Er war 30 Zentimeter lang und gut 15 Zentimeter breit. Der Großteil des Objekts erschien hellgrau, durchsetzt mit dunklen Punkten metallischen Ursprungs. Wie wir heute wissen, handelt es sich bei den Materialien um die Minerale Olivin, Feldspat und Augit sowie um Einsprengsel von Eisen. Die schwarze Rinde entstand durch die enorme Hitzeeinwirkung beim Passieren der Atmosphäre. Der Findling von Mauerkirchen im Innviertel ist einer von acht zweifelsfrei identifizierten Meteoriten auf österreichischem Boden. Er ist zugleich der erste dokumentierte Meteoritenfall Österreichs, während sich der jüngste im April 2002 im Tiroler Reutte zutrug (siehe Tabelle S. 16).

Die Gelehrten um die Mitte des 18. Jahrhunderts waren noch relativ ratlos oder hochgradig uneins über die Herkunft des obskuren Fremdkörpers. Ein Skeptiker unter den Augenzeugen hielt es für grundsätzlich unmöglich, dass Steine einfach so herabfallen können. Möge noch angehen, argumentierte der Mann, dass feuerspeiende Berge allerlei Trümmer durch die Luft wirbeln. „Dass aber dergleichen Materie so lang in der Luft beysammen erhalten werden könne, bis daraus ein großer schwerer Stein gestaltet wird, das läuft wider alle Gesetze einer Vernunftlehre.“

Der unbekannte Verfasser der Chronik über den Meteoriten von Mauerkirchen tendierte hingegen zur Ansicht, dass sehr wohl „im Himmel Steine können gezeuget werden“.

Fallberichte

Ein Überblick über sämtliche bekannte Meteoriten, die auf österreichischen Boden stürzten.

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Die Begebenheit führt zwei Umstände vor Augen: Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Menschen kaum eine Idee davon hatten, warum immer wieder außerirdisches Material auf unserem Planeten landet. Auch viele Fachkundige stellten lange vehement in Abrede, dass tatsächlich Fragmente fremder Himmelskörper durchs All driften und die Erde touchieren könnten. Bei dieser Erkenntnis handelt es sich erst um in jüngerer Vergangenheit akzeptiertes Wissen. Und zweitens: Seit es systematische Aufzeichnungen gibt, fertigen Zeitgenossen Notizen über die Einschläge rätselhafter Felsbrocken auf dem Erdboden an – und zwar in manchen Epochen viel häufiger, als man meinen möchte. Allerdings handelt es sich in den meisten Fällen zum Glück um sehr kleine Objekte, die höchstens lokal begrenzten Schaden anrichten.

Ein Dolch aus dem Weltall

Schon antike Philosophen hinterließen Schriften, die von Meteoritenstürzen kunden. So verfasste der Römer Plinius der Ältere im Jahr 77 nach Christus sein Werk „Naturalis Historia“. Ein Kapitel dieser „Naturgeschichte“ widmete er den „Steinen, die vom Himmel fallen“. Dass sich solche Ereignisse immer wieder zutragen, „wird nicht zweifelhaft sein“, behauptete Plinius. Teils stützte er sich auf historische Berichte, darunter auf den Fall eines braunen Felsens von der Größe zweier Mühlsteine im Jahr 464 vor Christus im Norden der heutigen Türkei. Dasselbe Ereignis hatte bereits Diogenes von Apollonia erwähnt, wobei er es als „Fall eines erloschenen Sterns“ deutete. Plinius schilderte aber auch die Leuchterscheinungen in der Atmosphäre, die entstehen, wenn Bruchstücke kosmischer Objekte über den Himmel ziehen. Er prägte für diese Phänomene den Namen „Boliden“, inspiriert von Wurfgegenständen bei griechischen Wettkämpfen. Der Begriff ist heute noch in Gebrauch.

Die Nachricht vom Einschlag eines Meteoriten in Japan durch ausschließlich mündliche Überlieferung überdauerte hingegen Jahrhunderte. Der Vorfall ereignete sich am 19. Mai 861 in Nogata auf der Insel Kyushu: Mitten in der Nacht riss die Menschen eine ohrenbetäubende, von einem grellen Blitz begleitete Explosion aus dem Schlaf. Am nächsten Morgen sahen die Einwohner zaghaft nach, was geschehen war: Im Garten eines im 7. Jahrhundert erbauten Shinto-Tempels steckte ein schwarzer, faustgroßer Stein. Der seltsame Brocken hatte sich direkt vor dem Heiligtum in den Grund gebohrt. Rasch machte die Geschichte vom „fliegenden Stein“ die Runde. Die Priester hatten keinerlei Zweifel, dass es sich um eine göttliche Botschaft handelte. Sie legten den Stein in eine hölzerne Schatulle und bewahrten ihn fortan als besonderen Schatz ihres Schreins auf. Erst Ende der 1970er-Jahre nahmen Forscher umfassende wissenschaftliche Untersuchungen vor. Daher ist heute bekannt, dass es sich bei dem 472 Gramm schweren Objekt um einen Steinmeteoriten handelt – und zugleich um den ältesten bezeugten Meteoritenfall, von dem noch Material vorhanden ist.

Allerdings hielten die Menschen mit Sicherheit schon viel früher Teile von Meteoriten in Händen, ohne jedoch Aufzeichnungen darüber angefertigt zu haben, wie sie in deren Besitz gekommen waren. Schon gar nicht sind Zeitpunkt und Umstände eines Einschlags dokumentiert. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für eine sehr frühe Verwendung außerirdischer Materie ist ein kunstvoll gefertigter und opulent verzierter Dolch, der in der Grabkammer des legendären Pharaos Tutanchamun entdeckt wurde. Im Sommer 2016 legte ein italienisch-ägyptisches Forscherteam Analysen der Klinge vor und gelangte zu folgendem Ergebnis: Das Stück bestehe hauptsächlich aus Eisen und enthalte überdies Anteile von Nickel sowie Kobalt. Die spezielle Mischung dieser Zutaten lasse eindeutig darauf schließen, dass der Rohstoff für die Klinge einem der ältesten Objekte des Sonnensystems entstammte – einem Eisenmeteoriten. Der junge Herrscher, so vermeldeten Wissenschaftsmedien, habe fraglos einen Dolch aus dem Weltall besessen.

Die Wissenschaftler spekulieren, dass die Ägypter durchaus Kenntnis davon gehabt haben könnten, dass das Material für die kostbare Waffe vom Himmel gefallen war – und dass Handwerker vielleicht genau deshalb einen einzigartigen Dolch daraus schmiedeten, der nur eines Pharaos würdig war. Wie aber wären die Menschen des Altertums in den Besitz von Meteoritenteilen gekommen? Wie hätten sie überhaupt auf die Idee verfallen können, dass es sich um etwas Besonderes handeln und es daher lohnen könnte, die Eisenfragmente zu bergen und zu verarbeiten? Sahen sie vielleicht mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Erstaunen, wie ein Lichtblitz den Himmel erhellte, ein grelles Glühen die Luft erfüllte und der Meteorit zu Boden stürzte? Es ist zumindest nicht ausgeschlossen. Die Experten fanden heraus, dass in der Region 20 Fundstellen von Eisenmeteoriten dokumentiert sind. Bei einem davon, westlich von Alexandria, passt die chemische Zusammensetzung perfekt zu jener des Dolches.

Doch Tutanchamuns Klinge ist nicht das einzige Relikt, das die Verwendung von Meteoritenmaterial in Ägypten belegt. Noch viel älter als der Dolch sind Perlen, die ebenfalls aus meteoritischem Eisen bestehen: Die Schmuckstücke entstanden vor 5.300 Jahren, zu einer Zeit, als die Gewinnung von Eisenerz aus irdischen Quellen noch längst nicht erfunden war. Die Perlen wurden rund 70 Kilometer südlich von Kairo entdeckt. Blanke Spekulation ist hingegen, ob eines der bedeutendsten sakralen Objekte der Welt aus Meteoritengestein besteht: die Kaaba in Mekka, ein überaus wichtiges Heiligtum des Islam. Manche Experten vermuten zwar eine außerirdische Herkunft des berühmten schwarzen Steins, eine wissenschaftliche Untersuchung hat aber nie stattgefunden.

Die frühesten wirklich aussagekräftigen Dokumentationen von herabstürzenden Steinen in unseren Breiten wurden erst viel später verfasst – Jahrtausende nach der Produktion der außergewöhnlichen Perlen und Jahrhunderte nach dem spektakulären Fall des Meteoriten von Nogata: etwa ab Mitte des zweiten Jahrtausends nach unserer Zeitrechnung. Und manche Geschichten über solch kosmische Felsbrocken zeigen, dass sie nicht nur die Forscher der jeweiligen Epoche in Atem hielten, sondern in gewisser Hinsicht manchmal sogar Einfluss aufs Weltgeschehen nahmen.

Ein berühmter Meteorit stärkt den Kampfesmut

Das Jahr 1492 hat mindestens zwei bedeutsame historische Ereignisse zu bieten. Am 12. Oktober erreichte Christoph Kolumbus den amerikanischen Kontinent. Und knapp einen Monat später, am 7. November, donnerte in Europa ein Meteorit herab. Kurz vor Mittag an diesem Tag erschütterte eine gigantische Detonation das Elsass und Teile der Schweiz. Ein kleiner Bub aus der Stadt Ensisheim beobachtete, wie ein großer Stein mit ohrenbetäubendem Getöse vom Himmel raste und außerhalb der Stadtmauern in ein Weizenfeld krachte. Der Einschlag ließ den Boden erzittern und hinterließ eine Grube von etwa einem Meter Tiefe.

Wenig später eilten die vom Spektakel alarmierten Stadtbewohner herbei. Fast augenblicklich fielen sie über den mysteriösen Stein her, wohl in der Annahme, es handle sich um ein Zeichen Gottes. Sie schabten, kratzten und brachen Teile davon ab und stopften sie in ihre Taschen, vermutlich in der Hoffnung, der Stein besäße wundersame Heilkräfte, könne für magische Rituale oder als Talisman dienen. Behördenvertreter schritten schließlich beherzt ein, untersagten das wilde Treiben, ließen den Stein in die Stadt schaffen und dort sicher verwahren. Heute sind noch 56 Kilo davon übrig, das ursprüngliche Gewicht dürfte rund 135 Kilo betragen haben. Es handelte sich somit um einen durchaus stattlichen Brocken – und zugleich um den ersten sorgfältig dokumentierten Meteoritenfall in Europa.

Kurz nach der Bergung des wundersamen Steins machte der römisch-deutsche König Maximilian I. Station in Ensisheim, damals ein Verwaltungssitz der Habsburger. Maximilian führte seine Armee gerade Richtung Frankreich und inspizierte bei seinem Zwischenstopp auch den mysteriösen Felsen. Grundsätzlich vertrat man die Ansicht, dass derartige Gegenstände ein böses Omen darstellen. Wenn der Allmächtige die Erde mit Steinen bewirft, sei dies als sicheres Zeichen dafür zu werten, dass er grollte – und womöglich auch noch Seuchen, Missernten oder Hungersnöte schickt. In dem Fall allerdings einigten sich Maximilian und die lokalen Autoritäten nach eingehender Beratung darauf, den mächtigen Stein lieber als wohlwollende Botschaft des Himmels zu betrachten, als Signal, Gott werde Maximilian in der nahenden Schlacht zur Seite stehen. Derart optimistisch gestimmt, säbelte Maximilian selbst zwei Stücke vom Meteoriten ab, eines für sich, eines für einen Freund, den österreichischen Landesfürsten Sigismund.

Um der Angelegenheit noch mehr Würde zu verleihen und deren Tragweite für die Nachwelt zu erhalten, verfasste der berühmte Schriftsteller und Poet Sebastian Brant ein aufwendig gestaltetes Flugblatt, das sowohl den Fall des „Donnersteins von Ensisheim“ beschrieb und illustrierte, als auch dem König Mut zusprach. Die Schrift in Latein und Deutsch war recht flott fertig: Bei dem Meteoriten von Ensisheim handelte es sich immerhin um das erste derartige Exemplar seit der Erfindung des Buchdrucks.

Vielleicht zog Maximilian mit all dem Zuspruch und spirituellen Beistand im Rücken besonders zuversichtlich in die Schlacht. Jedenfalls gewann er sie, und in späteren Gedichten pries Brant den vom Himmel gefallenen Stein als Beweis der göttlichen Gnade, die Maximilian zuteil geworden war. Brant fertigte aber auch sachlichere Notizen an. Zum Beispiel listete er auf, in welchen umliegenden Regionen die Menschen den Knall gehört hatten. Aufgrund seiner Angaben ließ sich rekonstruieren, dass die Explosion über ein Areal von rund 40.000 Quadratkilometern wahrnehmbar gewesen sein könnte.

Ein Zeuge war womöglich ein 21-jähriger Maler namens Albrecht Dürer, der sich am fraglichen Novembertag in Basel aufhielt, nur 40 Kilometer südlich von Ensisheim. Gesichert ist nicht, ob Dürer von dem Meteoritenfall wusste, doch malte er zwischen 1494 und 1496 ein kleines Bild auf die Rückseite seines Gemäldes „Büßender Hieronymus“, das heute zum Schatz der National Gallery in London zählt. Es ist ein düsteres, reichlich abstraktes Werk, in dessen Zentrum knallrot und bizarr gezackt das Schema einer Explosion zu sehen ist – und ein steinförmiges Objekt inmitten dieser Apokalypse.

Der sagenhafte Tisch des Eisens

Ziemlich exakt 100 Jahre später beschäftigten sich Menschen auf der anderen Seite unseres Planeten ebenfalls mit Steinen, die angeblich vom Himmel fielen. Der Gouverneur der Provinz Tucumán im nördlichen Argentinien hatte die Geschichte schon oft gehört: Immer wieder erzählten Indianer von geradezu fantastischen Eisenvorkommen in einer Gegend, die sie „Campo del Cielo“ nannten, das Himmelsfeld. Die Ureinwohner gewannen das Metall und bauten Waffen daraus. Und sie behaupteten, die gewaltigen Eisenmassen seien einfach vom Himmel gefallen. Sie gaben jenem Landstrich, in dem das Metall zum Liegen gekommen war, den Namen „El Mesón de Fierro“: Tisch des Eisens.

Im Jahr 1576 beauftragte der Gouverneur den Capitán Hernán Mexia de Miraval, der Sache auf den Grund zu gehen. Mit acht Mann brach Miraval auf. Indianer führten den Trupp durch unwegsames Gelände, vorbei an gefürchteten Volksstämmen, die man des Kannibalismus verdächtigte. Nach einem beschwerlichen Marsch erreichten die Männer tatsächlich den Mesón de Fierro. Miraval verfasste einen ausführlichen Bericht, in dem er, gestützt auf das Urteil eines Schmieds, die ungewöhnliche Reinheit des Materials lobte. Außerdem verlieh er seiner Vermutung Ausdruck, man sei womöglich auf eine sagenhafte Eisenmine gestoßen. Dann schickte er einen detaillierten Bericht seiner Expedition ab. Das Schreiben landete in einem Archiv in Sevilla. Dort packte es jemand in eine Lade, und darin blieb es liegen – ungelesen und vergessen für die folgenden 340 Jahre.

Im Lauf der nächsten beiden Jahrhunderte wurden weitere Expeditionen in die Region entsandt. Denn die Erzählungen der Indianer kursierten nach wie vor, und die Spanier hofften nicht zuletzt, einer reichhaltigen Mine auf der Spur zu sein. Mitunter war sogar von Silbervorkommen die Rede, was sich jedoch als Irrtum entpuppte. 1783 zum Beispiel brach ein Leutnant der Königlichen Armada namens Rubin de Celis mit 200 Mann in die Region auf. Don Rubin war ein gebildeter, rational denkender Mensch des 18. Jahrhunderts. Er glaubte nicht an außerirdische Steine, fand aber auch keine überzeugenden Hinweise auf eine Mine. Die Masse von El Mesón de Fierro schätzte er auf etwa 15 Tonnen. Sein Bericht unterschied sich teils erheblich von den Schilderungen anderer Entdecker, und heute wissen wir auch, warum: Nicht ein einzelner Brocken ging vor ungefähr 4.000 Jahren über dem Campo del Cielo nieder, sondern ein ganzer Meteoritenschauer. Allein im Zentrum des Areals fanden Forscher inzwischen fast zwei Dutzend Einschlagskrater, jeweils 20 bis 100 Meter im Durchmesser. Damit zählt Campo del Cielo zu den größten Meteoritenstreufeldern unseres Planeten. Die historischen Berichte bezogen sich auf unterschiedliche Teile des Eisenmeteoriten an verschiedenen Fundorten.

In späterer Zeit gestaltete es sich außerordentlich schwierig, die Trümmer wieder aufzuspüren. Viele Suchen verliefen erfolglos, und zwar selbst mit Methoden der Bodenprospektion. Die Ursache dafür war vermutlich, dass die Gegend auch reich an natürlichen irdischen Eisenvorkommen ist und das extraterrestrische Metall deshalb in den Analysen nicht deutlich genug hervorstach. Auf das erste Bruchstück, nach jüngsten Vermessungen 29 Tonnen schwer, stießen Forscher 1969. Es trägt heute die Bezeichnung „El Chaco“. Über die Jahre legten Wissenschaftler immer mehr Teile frei. Erst im September 2016 wurde neuerlich ein gewaltiger Eisenmeteorit am Himmelsfeld entdeckt, gut 30 Tonnen schwer.

Das wirft die stärkste Kuh um

In Europa setzte bereits ab Mitte des 18. Jahrhunderts eine äußerst fruchtbare Zeit für die Meteoritenforschung ein. Zum einen kam es in dichter zeitlicher Abfolge, mitunter im Jahrestakt, zu spektakulären Sichtungen von Boliden und herabstürzenden Gesteinsbrocken. Zum anderen machte die Untersuchung der geborgenen Objekte beachtliche Fortschritte – angetrieben vom zunehmend naturwissenschaftlich orientierten Blick auf die Welt sowie den allmählich besseren Methoden und Instrumenten der Forscher.

Die Serie begann mit einem Meteoritenfall im Oktober 1750 in Nicorps, Frankreich. Gut ein halbes Jahr später, am 26. Mai 1751, sahen sieben Zeugen, wie ein Feuerball bei Hraschina in Kroatien niederging. Noch während das Objekt über den Himmel zog, teilte es sich in zwei Stücke, die wie durch eine brennende Kette miteinander verbunden schienen. Es folgte eine Explosion, dann donnerte eine vorerst undefinierbare Masse auf ein frisch gepflügtes Feld und ließ den Erdboden erzittern. Anfang Juli 1753 verfolgten Menschen in Tabor, unweit von Prag, wie einem Gewitter plötzlich ein Stein entsprang. So wuchs die Sammlung der Berichte über derartige Vorkommnisse ständig, und die zugehörigen Schilderungen wurden mit der Zeit sachlicher, präziser und detailreicher.